Stoffpilze und Bootsdummies

Anspielungsreich: Cosima von Bonins „Bruder Poul sticht in See“ im Hamburger Kunstverein  ■ Von Hajo Schiff

Eine Seefahrt, die ist lustig. Und wenn die maritimen Zitate sich auf verschiedenen Anspielungsebenen häufen, ist es dann schlimm, sich das kalauernde Wortspiel „Sehfahrt“ einfallen zu lassen? Fast alles in der neuen Kunstvereinsausstellung von Cosima von Bonin ist mit Bezügen zum Meer besetzt – nicht als oberflächliche Hommage an die Hafenstadt Hamburg, sondern im Geist alter angelsächsischer Seetraditionen.

Den Zugang zum Kunstverein bildet diesmal ein Theatervorhang, und der nur mit Handtuchskulpturen an der Decke möblierte Erdgeschoßraum wartet auf die gelegentlichen Film- und Videoveranstaltungen; ein Programm, das zu organisieren zentraler Bestandteil der Arbeit der in Köln lebenden Künstlerin ist. In all ihren Ausstellungen integriert Cosima von Bonin ein ganzes Netzwerk von Bezügen zu lebenden und toten Freunden, auch die mit ihr arbeitenden Studenten spielen eine Rolle.

Kurze, bleistiftgeschriebene Zitate an den Wänden des Treppenaufganges stimmen ein auf die maritime Sehnsucht: Zu Wort kommt der englische Elegiendichter Robert Browning, der Romantiker Samuel Taylor Coleridge ist mit einem Ausschnitt aus der Ballade vom alten Matrosen vertreten.

Hat man die wächtergleich an der Tür stehenden Riesenpilze aus Camouflagestoff passiert, versperrt eine lange Querwand den großen Ausstellungsraum. Sie ist komplett in das Bild eines Schiffsrumpfes überführt, Erinnerungen an Fellinis E la Nave va und an Titanic werden wach. Dahinter zitieren zwei Katapulte namens „Spray“ und „Snark“ die Yachten des Seewolfs: Der Autor Jack London hatte mit dem Namen seines letzten Schiffs seinerseits auf Lewis Caroll verwiesen. Und sich unter Pilzen hindurch den Eintritt ins Reich der Phantasie zu erschleichen, erinnert ja an Alice im Wunderland, selbst wenn diese Pilze schon ein Markenzeichen Cosima von Bonins geworden ist.

Kernstück der anspielungsreich kombinierten Wunderwelt ist ein stark nach Steuerbord krängender, meterlanger, strahlend weißer Einmaster. Auch wenn er unter dem schlichten Titel „Anschauungsobjekt“ firmiert, ist es unmöglich, in der bootsbauerisch aus Glasfaser und Polyester erstellten Form keine Yacht zu erkennen.

Kunstvereinsdirektor Yilmaz Dziewior schätzt die 1962 in Kenia geborene von Bonin als „die meist diskutierte deutsche Künstlerin ihrer Generation“ und hebt ihre integrative Haltung hervor. So nimmt sich die Künstlerin in der aktuellen Ausstellung stets zurück und widmet sie ausdrücklich dem exzentrischen, wenig bekannten, 1996 gestorbenen Künstler Poul Gernes. Vierundzwanzig seiner op-art-bunt delirierenden Zielscheiben vom Ende der Sechziger Jahre füllen eine halbe Wand. Dies wiederum ist eine „Sehfahrt“ in die Vergangenheit und zu einem dänischen Künstler, der zeittypisch aktiv in Happenings und sozial-orientierter Kunst auch eine große Affinität zu Booten hatte.

Dieses Referenzgespinst, diese komplexe Arbeit an persönlichen und indirekten Beziehungsstrukturen erscheint vielen als eher ausschließende Hermetik. Alles scheint auf den ersten Blick nur für Freunde und Eingeweihte erkennbar. Doch vielleicht ist angesichts der heute so überbordenden Informationen solch ein Bezugssystem eine ganz leistungsfähige Methode der Aneignung, die sich mitspielenden Individuen über den Reiz ungeklärter Zwischenräume öffnen kann.

Für einen Besuch im Kunstverein ist es jedoch weiterhin gut, sich mit dem hohen Theorieniveau zu wappnen, das schon Stephan Schmidt-Wulffen verlangte. Aber der neue Direktor Yilmaz Dziewior verzichtet jedenfalls nicht darauf, den Weg dahin über sinnlich erfahrbare Inszenierungen führen zu lassen. Und die Spiegelungen des weißen Ausstellungsraumes auf dem geschlossen, hochglanzpolierten weißen Deck des Bootsdummies sind einfach schön.

Di–So, 11–18 Uhr, Do bis 21 Uhr, Kunstverein, Klosterwall 23; bis 5. August. Führungen: donnerstags, 18 Uhr