Heroin bis Haarerupfen

■ Suchttherapietage: Fachleute fordern mehr interdisziplinäre Zusammenarbeit

Noch vor 20 Jahren machte ein Alkoholabhängiger eine Entgiftung, dann eine Therapie und galt als geheilt. „Inzwischen wissen wir, dass die Sucht oft eine chronische Krankheit ist“, sagte Klaus Behrendt, Leiter der Abteilung für Suchtkranke am Klinikum Nord, bei einer Auftaktpressekonferenz zu den 6. Suchttherapietagen an der Uni Hamburg. Dabei ist die Psychotherapie als begleitende Maßnahme wichtiger geworden. Therapiekonzepte sind immer individuell und behandeln längst nicht mehr nur klassische Abhängigkeiten von legalen und illegalen Drogen, sondern auch Süchte wie die nach Spielen, Shoppen und dem Internet.

„Suchthilfe zwischen Psychotherapie und Safer Use“ ist der Titel der Veranstaltung, bei der etwa 750 Ärzte, Psychiater, Sozialarbeiter, Sozialpädagogen und Juristen sich noch bis Freitag über Konzepte und Erfahrungen austauschen. Dabei wird es auch um den noch umstrittenen Ansatz gehen, dass nicht immer Abstinenz das Therapie-Ziel sein muss, sondern es auch kontrollierter Konsum sein kann. Die differenzierten Konzepte machen eine fächerübergreifende Zusammenarbeit zwischen Krankenhäusern, niedergelassenen Ärzten und Therapieeinrichtungen erforderlich.

So ein Netzwerk gibt es in Berlin: „Dabei treffen wir jedoch auf massive Widerstände“, berichtet Jörg Golz, niedergelassener Arzt. Zum einen blockierten die Kostenträger, „die fürchten, dass sie etwas zahlen, wofür bisher jemand anderes zuständig war“. Zum anderen fürchteten Ärzte und Träger um ihre Entscheidungsfreiheit und hätten Angst, etwas abgeben zu müssen.

Es geht in den kommenden Tagen aber auch um die Frage „Was ist Sucht?“: Professor Iver Hand vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf hat beispielsweise erforscht, „dass pathologisches Glückspiel an der Börse, Haareausdrehen und Trinken die gleich psychologische Grundproblematik haben kann“. Hand hat individuelle und gesellschaftliche Risikofaktoren für eine Abhängigkeit herausgefunden: „Bei der Rezession der 80er Jahre hat beispielsweise die Zahl der Spielsüchtigen zugenommen“. Die Hälfte seiner Patienten waren Opfer dieser Rezession: Junge Leute, die nicht ins und Ältere, die zu früh aus dem Berufsleben kamen. Sandra Wilsdorf