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: Als Außenseiter gehen die 76ers ins NBA-Finale

David spannt die Schleuder

The Father, Son, and the Holy Ghost

Kann ein NBA-Team, das den besten Spieler, den besten Verteidiger, den besten sechsten Mann und den besten Trainer der Saison in seinen Reihen hat, tatsächlich ein Finale verlieren? Aber hallo, glauben die meisten Basketball-Fans in den USA. Trotz eines Allen Iverson, Dikembe Mutombo, Aaron McKie und Larry Brown gehen die Philadelphia 76ers heute als krasser Außenseiter in die maximal sieben Partien der Endspielserie gegen die Los Angeles Lakers. Letztere waren durch die Playoffs geflutscht wie ein heißes Messer durch ein Stück Butter, die Sixers hingegen verloren gegen Indiana Pacers, Toronto Raptors und Milwaukee Bucks stolze sieben Partien und benötigten zweimal ein siebtes Spiel, um die nächste Runde zu erreichen.

Auf der anderen Seite herrscht, zumindest außerhalb des Bundesstaates Wisconsin, große Erleichterung darüber, dass Philadelphia und nicht Milwaukee im Finale steht. Wenn irgendein Team Allen Iverson und seine 76ers in der Eastern Conference eliminieren würde, könnte dies die Trophäe gleich in den Westen schicken, hatte kein anderer als Michael Jordan schon vor den Playoffs gesagt. Den Sixers wird wenigstens eine Mini-Chance eingeräumt, außerdem garantieren die Zweikämpfe Iverson-Kobe Bryant und Mutombo-Shaquille O’Neal beste Unterhaltung. Und gute TV-Quoten, was die Milwaukee Bucks nach etlichen seltsamen Schiedsrichterpfiffen im Halbfinale zu weit reichenden Verschwörungstheorien inspirierte. Coach Larry Brown nahm es gelassen: „Wenn es eine Verschwörung gibt, uns ins NBA-Finale zu bringen, bin ich voll dafür.“

Zumindest im letzten Spiel gegen die Bucks war es beim 108:91 nicht das Schiedsrichtertrio, welches das Match entschied, sondern Allen Iverson, der tat, was große Spieler auszeichnet: Großes leisten, wenn es darauf ankommt. Endlich trafen seine Würfe den Korb, 44 Punkte vom 25-Jährigen waren zu viel für Milwaukee.

Ähnlich herausragende Leistungen muss der an einer schmerzhaften Steißbeinprellung leidende Iverson konstant bringen, wenn sein Team gegen die Lakers eine Chance haben soll. Deren Coach Phil Jackson nannte den 1,83 m großen Guard vor dem Finale „kleiner Schurke“ und „Monster“, was durchaus respektvoll gemeint war. Man darf davon ausgehen, dass der siebenfache Meistertrainer eine ausgeklügelte Abwehrstrategie gegen Iverson parat haben wird, in deren Mittelpunkt Derek Fisher und Kobe Bryant stehen dürften. Larry Brown hingegen muss sich überlegen, wie er Bryant stoppen will, der die San Antonio Spurs komplett schwindlig spielte und von Jackson dafür ein erstaunliches Lob bekam: „Ich habe noch keinen meiner Spieler über das ganze Feld besser spielen sehen.“ War da nicht mal ein gewisser Michael Jordan? Das sei etwas anderes, erklärte Jackson, von dem habe er bei den Chicago Bulls nie verlangt, den Spielmacher zu geben, von Kobe Bryant schon.

Dessen wundersame Wandlung gilt als Schlüssel für den Siegeszug der Lakers, die seit Anfang April nicht mehr verloren haben. Noch im Januar hatte nahezu das gesamte Lakers-Team verlangt, den 22-Jährigen wegen seines Eigensinns abzugeben, nach einer Verletzungspause kam er jedoch als perfekter Teambasketballer zurück. „Das war wirklich eine Reifeprozess“, staunt Jackson.

Ein Prozess, von dem auch Shaquille O’Neal profitiert, der es im Finale mit Dikembe Mutombo zu tun bekommt. Larry Brown bestreitet, den zuletzt bärenstarken Center mit Blick auf die Lakers aus Atlanta geholt zu haben, doch der in Philadelphia zunächst äußerst umstrittene Tausch gegen Theo Ratliff und Toni Kukoc könnte sich jetzt auszahlen. Ohne einen Widerpart für Shaq, das sieht inzwischen jeder ein, wäre der totale Playoff-Sweep der Lakers, ein Novum in der NBA, kaum zu verhindern. Aber auch so steht Brian Shaw von den Lakers ziemlich allein, wenn er angesichts der vielen Ehrentitel für die Sixers in dieser Saison behauptet: „Wir sind David, sie sind Goliath.“ MATTI LIESKE