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Projekt: Lebensgestaltung

Mit ihren illusionslosen, komplexen Texten wurde Gesine Danckwart zu einer der gefragtesten Theaterautorinnen der Saison. Ihre jüngste Uraufführung „Täglich Brot“ in Berlin und Hamburg

„Alle Figuren sind Teil eines Systems und darin wieder sehr einsam“

von REGINE BRUCKMANN

Schon blöd, wenn man mit den Füßen im Wasser steht. In „Täglich Brot“ setzt Regisseurin Christiane Pohle die fünf Darsteller in einen flachen Pool und verschafft so ihren Aktionen eine feuchte Grundlage. Zuerst können sie noch mit angezogenen Beinen auf dem Stuhl kauern, aber dann kommt der Wecker, ein hässlicher Ton, schrill wie eine Werksirene. Eingeschweißte Kleiderpäckchen fallen von der Decke, die vorsichtig ausgewickelt werden. Nun heißt es: sich anziehen, ohne mehr als nötig nass zu werden, missmutig Arme und Beine in Jacken und Hosen stecken, sich verwandeln vom Unterwäsche-Nacht-zu-Hause-Menschen in den beruflich tätigen Tag-Menschen. Die Strumpfhosen haben Laufmaschen, und der Scheißtyp von oben macht das Radio zu laut. Arbeitsalltag, morgens.

Trash-Collagen: Dieses Etikett werden ihre Stücke nicht los. Gesine Danckwart ärgert sich über Journalisten, die immer wieder in die gleiche Schublade greifen. Der Begriff passt auf die Produktionen im Berliner Theaterdock Anfang der Neunzigerjahre, kurze Abende, für die Danckwart gemeinsam mit Freunden Werbetexte und antike Bruchstücke zusammenpuzzelte. Das Collagenhafte ist geblieben, das Assoziative, das Mischen von fremden und eigenen Stimmen, aber die Texte, die sie heute fürs Theater schreibt, sind differenzierter, komplexer. Kleine, dem Alltag abgelauschte Befindlichkeitsstudien, Bestandsaufnahmen einer Generation von Dreißigjährigen, deren eventuelle Leistungsverweigerung von keiner Utopie mehr getragen wird.

Gesine Danckwart, 32, geborene Norddeutsche und heute Wahlberlinerin, ist eine der gefragtesten Autorinnen der Saison. Das Berliner Podewil zeigte im Mai auf dem „reich & berühmt“-Festival ihr Stück „Summerwine“. „Täglich Brot“, eine Reflexion über den Arbeitstag in der Dienst- und Leistungsgesellschaft, ist eine Koproduktion vom Theaterhaus Jena, dem TiF Dresden und den Berliner Sophiensälen, die im Juli auch bei den Autorentheatertagen am Hamburger Thalia Theater zu sehen sein wird. Um einen Interviewtermin zu vereinbaren, stehen die Journalisten momentan bei ihr Schlange. Aber sie liest nicht gerne Artikel über sich. Das Leben und die Kunst sind kompliziert, und sie möchte nicht missverstanden werden, wenn sie sich darüber äußert.

„Ich versuche jetzt immer so zu reden, dass mich jemand versteht“, sagt eine Figur in „Girlsnightout“, ihrem erstem großen Erfolg (1999), in dem drei Mädels wie schockgefrostet im postpubertären Zustand verharren, aufs Leben starrend wie Kaninchen auf die Schlange. Tatsächlich bietet Danckwarts Kunstsprache mehr als das bloße Verständnis. Die Sätze haben so eine unscheinbare, alltägliche Oberfläche, aber keiner steht für sich allein. Eine Aussage antwortet der anderen, manche kratzen und beißen sich. Gedanken und Gefühle werden personenübergreifend artikuliert. „Alle haben dieselben Textstücke im Kopf“, erklärt die Autorin. „Es geht nicht darum, unterscheidbare Charaktere zu zeichnen. Alle Figuren sind Teil eines Systems und darin wieder sehr einsam.“

Die Hamburger Regisseurin Christiane Pohle hat in ihrer Inszenierung von „Täglich Brot“ diesen Zustand versinnbildlicht. Im Haifischbecken unserer Arbeitsgesellschaft hat jeder seinen eigenen, abgetrennten Bereich. Schwimmer und Nichtschwimmer sind hier Angestellte und Arbeitslose, Werbetexter und Praktikanten. Die Zuordnungen wechseln. Die Worte schmeißt jeder so vor sich hin, lässt sie flüsternd oder schreiend ins Wasser plumpsen. Keiner schaut dem anderen ins Gesicht, die Emotionen führen ein Eigenleben in zeitweise chorischem Sprechen. Eingeschweißte Päckchen mit Take-away-Food fallen von der Decke, alle sitzen auf ihrem Stuhl und essen, schmeißen die Verpackung ins Wasser. Arbeitsalltag, mittags.

In Gesine Danckwarts Stücken beschäftigt sich das (Selbst-)Gespräch immer wieder mit dem Verschwinden der Identität. Das Selbstgefühl als Reibungsverlust zwischen gesellschaftlichen Erwartungsmustern und persönlicher Sinnsuche. In „Girlsnightout“ gibt es Passagen, in denen fangen von zwanzig Sätzen neunzehn mit „ich“ an. Die Texte zeigen keine erkennbaren Charaktere, aber eine hypochondrische, identitätsgestörte Gesellschaft. „Man kann alles in Frage stellen“, meint Danckwart. „Jede Tätigkeit ist zurückzuführen auf die Hilflosigkeit der Lebensgestaltung. Klar ist das dekadent, aber ich will auch die Verzweiflung ernst nehmen, die daraus entsteht.“

In „Täglich Brot“ versuchen ein Mann und eine Frau die Sprechhaltung, die auch eine Lebenshaltung ist, zu durchbrechen. Blicke und Worte gehen von ihr zu ihm, erst schüchtern, hoffend, ein zweiter Versuch, laut, kreischend, dann schneller Rückzug. Das war’s auch schon. Endlich Wochenende. Zum Hineintanzen. Nun geraten die Akteure doch noch aneinander, das Ballett wird zum Ringkampf, alle fallen ins Wasser. Das Ende: erschöpft und pitschnass vor dem blauen Licht des Fernsehers. Nicht viel geschafft heute. Liste machen für morgen. Arbeitsalltag, abends. Wer hier amüsiert klatscht, hat sich mit Grausen wiedererkannt. Und das sind viele. In Jena und Dresden, in Hamburg und Berlin. Lebenswelt, bundesrepublikanisch.

„Täglich Brot“ von Gesine Danckwart, 7.–10. 6. Sophiensäle Berlin, 2.–3. 7. Thalia Theater Hamburg

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