Mousse für das Space Age

Schon den neuen Danyssimo probiert? Die große Markenverschwörung macht BerlinerInnen zum Versuchskaninchen

In Berlin werden geheime Untersuchungen betrieben. An Berlinern und an Berlinerinnen, die davon nichts mitkriegen. Aber es stimmt, ich weiß es. Die Stadt ist nach dem Regierungsumzug zum Laboratorium auserwählt worden, als Teststrecke für neue Produktlinien und Werbekonzepte. Steigt der Ballon auf, werden die Ergebnisse auf ganz Deutschland hochgerechnet und angewendet. Platzt er, weil der Profit nicht die Mühe lohnt, bleibt die Republik von Bayern bis zur Nordsee verschont. Zum Beispiel von Chipkarten im Personennahverkehr. Oder von Schokosahnepuddingen.

Aufgefallen ist mir die große Markenverschwörung vor ein paar Wochen, am Ausgang des U-Bahnhofs Kochstraße, wo morgenmuffelnde taz-MitarbeiterInnen zur Schicht aussteigen. An dieser U-Bahn-Station ist eine völlig unsinnige Ampelschaltung angebracht, die erst den Autofluss aus sämtlichen Himmelsrichtungen staut, um danach die Fussgänger einen Halbminutentakt lang über die Straße zu jagen. Kein Passant versteht, wie der innerstädtische Modellversuch zur Verkehrsberuhigung funktioniert. Touristen erst recht nicht, die irren zwischen zwei Rotphasen auf der Fahrbahn umher. In Hamburg wäre dieses zur Langzeitstudie ausgewachsene Roulettespiel bereits wieder abgeschaltet worden.

In Berlin nutzen derweil Zettelverteiler das Chaos unter den auf Grün Wartenden und drücken den fluchenden Passanten Sonderangebote vom Obi-Baumarkt in die Hand. Oder Sahnepuddinge. Die gab es einen Morgen im Mai umsonst, von einer jungen Frau im Overall – „Mal den neuen Danyssimo von Danone zum Probieren, der Herr?“ Laut Packung soll der Pudding leichter und lockerer sein als alle anderen Nachtische dieser Welt. Tatsächlich ist die Schokomasse sehr, sehr locker aufgeschäumt, selbst die Sahne on top wirft gewaltige Stickstoffblasen. Es ist Mousse für das Space Age, das merkt man sofort. Erst recht, wenn man die dazugehörige Werbung sieht: Ein Model mit crazy rot gefärbten Haaren sitzt im silbernen Overall auf crazy rotem computersimuliertem Sci-Fi-Setting und schlemmt – mmhmm, luftig – einen ordentlichen Becher Danyssimo.

Verkauft wird das neue Supersüß allerdings nur bei Reichelt und in Edeka-Märkten, erzählt mir eine Dame mit leicht bräsigem, skandinavisch klingendem Akzent, als ich schokomäßig angefixt im Münchner Headquarter von Danone Deutschland anrufe und frage, warum der Stoff nicht bei meinem Kaiser’s im Regal steht: „Wir sind noch in der Testphase, Danyssimo wird für vier Wochen in Berlin ausprobiert, dann sehen wir, ob er auch bundesweit Chancen hat.“

Offenbar kennen die Marketingcracks in München ihre Berliner Klientel schlecht. Noch ist hier nicht alles Mitte – schon gar nicht in Kreuzberg! Da steht Danone als Global Player auf der Abschussliste, egal ob das Produkt nun Vittel, Actimel oder Danyssimo heißt. Da bringt ein geschenkter Pudding überhaupt keine Erkenntnise für die Analyse. Wie auch? Schließlich hatte die junge Frau in ihrer crazy roten Danone-Umhängetasche nicht einmal Fragebögen dabei. Oder glaubt man in München, der gemeine Berliner würde den leeren Topf einschicken mit dem Vermerk: Lecker, bitte mehr davon? Es muss am Hauptstadtbonus liegen. Wahrscheinlich hat sich irgendein kluger Kopf in der Produktentwicklung gesagt: Wenn wir etwas über den verschärften Bundesappetit auf Schokopuddinge herausfinden können, dann doch in Berlin, dort leben ja all die Kreativen aus der IT-Branche, die DJs und Clubbetreiber, die Machtmenschen aus der Politelite, Schröder und auch Westerwelle.

Aber Lebenskultur und Savoir vivre, das geht nie gut in Berlin. Hier trinkt man kein Bier, sondern kippt Schultheiss in Halbliterdosen, mit dem sich selbst die biertechnisch unterentwickelten Briten höchstens ihre blassen Käsefüße waschen würden. Hier werden Schrippen genannte Brötchen aus Packpapier zusammengepappt, und eher geht hier ein Kamel an die Currywurstbude, als dass ein Berliner sich zum Nachtisch auf Experimente einlässt – auch nicht, wenn das betreffende Experiment bestimmt weltraumtauglich ist und für lau verteilt wird. Dafür hätte Danone bloß mal bei den Kollegen von Zott anrufen müssen, die Anfang der Neunzigerjahre mit ihrer Joghurtoffensive an den Berliner Geschmacksnerven gescheitert sind. Damals kam ihr Galaxy-Joghurt in so crazy Richtungen wie Piña Colada auf den Markt. Die neuen Joghurts blieben zwei Monate bei Hit-Markt im Regal stehen, bis zum bitteren Verfallsdatum. Jetzt warten die Danone-Schokopuddinge bei Reichelt im Kühlregal darauf, dass ein frustrierter Produktentwickler aus München die Aktion wieder abpfeift und den ranzigen Kram zurückholt ins Labor. Dabei hat er mir sogar prima geschmeckt, der neue Danyssimo.

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