Hätten Sie mitgemacht?

Andrea Fischer, Bundestagsabgeordnete der Grünen

Ich war damals noch ein Kind, wäre ich erwachsen gewesen, hätte ich die Kampagne bestimmt unterstützt.

Das Private ist nach wie vor politisch: Es ist doch gerade der Erfolg der Frauenbewegung, dass um das Selbstbestimmungsrecht der Frau bei der Abtreibung nicht mehr grundlegend gestritten werden muss. Eine Abtreibung vornehmen zu lassen, ist schwierig und schmerzhaft – ich finde es verständlich, dass Frauen darüber nur dann öffentlich sprechen, wenn sie es für unerlässlich halten.

Die Mission der Frauenbewegung ist nicht zu erfüllen. Aber die Frauenbewegung hat zweifellos vieles zum Besseren geändert – nicht nur bei der Abtreibung, sondern auch bei der Öffnung von Bildung und Erwerbsarbeitsmarkt. Dass heute eine Generation junger Frauen sich nicht mehr vor die Wahl Kinder oder Karriere stellen lassen will, ist einer der Erfolge, die der Frauenbewegung zuzuschreiben sind.

Für das, was weiter zu ändern ist, werden andere Aktionsformen gefunden werden, solche, die in unsere heutige Zeit und zum veränderten Alltag passen. Eine Kampagne müsste heute überall den Zugang zu Ganztagshorten und -schulen einfordern.

Nina Ruge, Moderatorin von „Leute heute“, ZDF

Ich war 1971 14 Jahre alt – und begann politisch gerade aufzuwachen. Der Pararaf 218 wurde für mich zu einem Riesenthema: Als ich 16 wurde, bin ich zu einer Groß-Demo nach Berlin gefahren, die nicht genehmigt war. Ich traute mich dann doch nicht mitzugehen, es war unendlich viel Polizei zusammengezogen. Als ich dort Zeuge wurde, wie Polizisten Frauen mit Kindern brutal angingen, erfuhr ich zum ersten Mal, was das wirklich bedeutet: ohnmächtig zu sein gegenüber der Staatsgewalt.

Ob das Private heute nicht mehr politisch ist? Ich denke, eine Abtreibung ist etwas unendlich Emotionales, ein Hexentanz der Gefühle. Was bringt es, das öffentlich zu diskutieren? Das ist heute zunächst ein sehr privater Kampf.

Für ihr Fortkommen kämpfen Frauen heute anders, aber sie kämpfen: Das ist der weibliche Gang durch die Institutionen. Oben angekommen sind sie noch lange nicht.

Ein Kampagne müsste man heute für Ganztagsschulen machen. Für genügend Kindergartenplätze. Für alles, was Kinderkriegen berufslebbar macht.

Christine Bergmann, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Die öffentliche Selbstbezichtigung von Frauen war im Westen Deutschlands ein mutiger Anstoß für die Debatte um das Selbstbestimmungsrecht der Frauen. Ich habe in der DDR gelebt, wo es dann ab 1972 die dreimonatige Fristenregelung gab. Vorher galt eine psycho-soziale Indikation bei Schwangerschaftsabbrüchen. Übrigens sind die Frauen dort entgegen gängigen Vorurteilen sehr verantwortungsbewusst mit ihrem Recht auf Abtreibung umgegangen.

Anfang bis Mitte der 90er-Jahre gab es nach der Wiedervereinigung eine breite öffentliche Diskussion über die Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs. Diese und andere Debatten zeigen, dass die Selbstbestimmung der Frauen über ihr Leben und ihren Körper auch dreißig Jahre nach der Stern-Kampagne immer noch bewegen und keineswegs nur Privatangelegenheit sind. Im Übrigen ist bei der Neuregelung des Paragrafen 218 über Fraktionsgrenzen hinweg ein überparteilicher Konsens erzielt worden, der auch heute noch gilt. Trotz dieser Rechtslage wurde jahrelang über den medikamentösen Schwangerschaftsabbruch gestritten. Erst unter der rot-grünen Bundesregierung gab es das dafür nötige politische Signal.

Frauenpolitik ist nach wie vor nötig, denn die tatsächliche Gleichstellung von Männern und Frauen ist noch nicht erreicht. Dazu brauchen und wollen Frauen eine organisierte Vertretung ihrer Interessen. Umfragen belegen, dass eine breite Mehrheit von drei viertel der Frauen, auch gerade jüngere Frauen, eine organisierte Frauenvertretung weiterhin für notwendig hält.

An erster Stelle steht für Frauen nach wie vor die Chancengleichheit im Erwerbsleben. Hier ist auch die Wirtschaft gefragt. Chancengleichheit im Job lässt sich aber nur erreichen, wenn auch die Familienarbeit zwischen Männern und Frauen partnerschaftlich geteilt wird. Das voranzubringen ist eine der wichtigen Aufgaben, die jetzt anstehen. Es gilt, Männer stärker an der Erziehungsarbeit zu beteiligen und eine verlässliche, bedarfsgerechte Kinderbetreuung auszubauen.

Margarethe Schreinemakers, Moderatorin „Big Diet“, RTL

Hätte ich bei der Kampagne mitgemacht? Höchstwahrscheinlich nicht. Ich habe zwar Verständnis dafür, dass Frauen in Notsituationen keinen anderen Ausweg sehen. Aber ich persönlich könnte mich niemals für eine Abtreibung entscheiden. Vor der Mutterschaft nicht, und nach der Geburt meiner beiden Kinder wäre es für mich mit Sicherheit gar kein Thema.

Wie alle Themen, die ans Eingemachte gehen (wie auch zum Beispiel Kinderschändung), ist es schwierig, der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten, in dem sie sich eigentlich nicht sehen möchte. Dies bedeutet auch die Auseinandersetzung mit sich selbst, und die ist natürlich nicht immer angenehm und leider auch schwer kommunizierbar.

Ob die Frauenbewegung ihre Mission erfüllt hat? Ich denke ja. Frauen brauchen kein Ghetto. Eine Kampagne müsste man, wenn überhaupt, dann sicherlich für mehr Selbstbewusstsein und weniger Schuldgefühle machen. Aber das ist immer noch Erziehungssache und wird sicherlich nicht durch eine Kampagne geändert.

Ute Vogt, SPD-Landesvorsitzende Baden-Württemberg

Ich glaube nicht, dass ich in eine solche Situation kommen würde, deshalb hätte ich mich an der Kampagne zum Paragraf 218 nicht beteiligen können. Ob das Private heute nicht mehr politisch ist? Das Private war noch nie richtig politisch. Die 68er waren entgegen ihren Parolen in ihrem Privatleben unerträgliche Chauvis. Und manche sind es heute noch. Es ist nie gelungen, umzusetzen, dass das Private in die Politik Eingang findet, denn die Doppelmoral der Männer hat nie aufgehört. Auch die 218-Debatte hat am Geschlechterverhältnis nicht viel geändert.

Die Mission der Frauenbewegung hat sich geändert. Frauen fordern heute nicht mehr Gleichberechtigung, sie sind einfach da. Sie sind qualifiziert, sie greifen zu anstatt zu fordern. Ich halte mich nicht mehr mit Forderungen auf – ich kandidiere einfach. Das ist das Ende der weiblichen Bescheidenheit. Ohne die Frauenbewegung könnte die junge Generation heute natürlich nicht so auftreten.

Heute geht es vor allem um die Aufteilung der Familienarbeit. Dass das Geld einer Familie nicht reiche, wenn der Mann nicht voll arbeitet, halte ich für eine Ausrede. Frauen sind heute so qualifiziert, die verdienen genug, sodass man die Arbeit tatsächlich teilen kann. Heute müssten Männer eine Kampagne machen „Ich bin Hausmann“ oder „Ich vereinbare Familie und Beruf“

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Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft

Damals war es richtig, sich gegenüber der Doppelmoral der Gesellschaft und angesichts der Not der Frauen an der Kampagne zu beteiligen. Heute ist dieser Damm gebrochen und trotzdem gibt es Not und Ängste. Verständlich, dass Betroffene darüber ungern öffentlich reden.

Wir brauchen: Aufklärung, gut ausgestattete Beratungsstellen und bessere Lebensbedingungen für Kinder. Dass sie bei Wohnungsbau, Verkehrspolitik, Bildungspolitik bis zum flächendeckenden Angebot einer Ganztagsbetreuung berücksichtigt werden, sind die berechtigten Ansprüche der Kinder. Im Übrigen sind das zum Teil auch Voraussetzungen für die Gleichstellung von Frauen und Männern.

Dank der Frauenbewegung haben wir bis heute viel erreicht – vom Kampf für das Frauenwahlrecht über das Grundgesetz bis zu Quoten und Förderprogrammen. Heute ist die neue Frauengeneration an nur noch zwei Ks interessiert. Statt Küche, Kinder, Kirche heißt es: Karriere und Kinder.

Die jungen Frauen sind enorm selbstständig, tatendurstig und selbstbewusst. Trotzdem sagt der größte Teil noch, dass sie eine gute Interessenvertretung brauchen. Wir Frauen in der Politik müssen das sein – aber auch eine neue Frauenbewegung. Das Ziel? Gleichstellung allerorten. Der nächste Ort? Die Vorstandsetagen der Wirtschaft. Die denkt zu Recht hektisch darüber nach, wie sie mit dem Negativum, letzte Enklave reiner Männerdomäne zu sein, umgeht. Sie sollte so klug sein, einer Kampagne zuvorzukommen!