Wut, die am Vakuum zerschellt

■ Schreie an den ewig abwesenden Vater: Hooman Sharifis Suddenly, Anyway, Why All This? While I... beim letzten Hamburger „Junge Hunde“- Festival auf Kampnagel

Ein Mann steht in der Mitte des Raumes, wie ein Baumstamm. Er steht und steht. Lange Zeit verharrt er regungslos. Plötzlich hebt Musik an, Dias flimmern über eine Leinwand. Doch es sind nicht die üblichen Bilder einsamer Großstadtmonaden, sondern unverkennbar Kinderbilder dieses Mannes, farbig und voller Naturimpressionen.

Dann beginnt er leise, zögernd, fragend, sich zu bewegen, lässt seinen Körper eng abgezirkelte Kreise vollziehen, wirft sich heftig auf den Boden, stürmt zu einem Stuhl in einer Ecke und schickt seinen massigen Leib erneut mit einem Aufprall zu Boden: Zartheit und Brutalität vereinen sich. Die Bilder an der Wand sind Kindheitserinnerungen des Tänzers und Choreografen Hooman Sharifi. Der aus dem Iran stammende Norweger verquickt in seiner LiveArt-Show Suddenly, Anyway, Why All This? While I... LiveArt-Show, die heute im Rahmen des Junge-Hunde-Festivals auf Kampnagel zu sehen ist, ganz persönliche Gedanken und Empfindungen. Und alle müssen hinschauen, sich entziehen kann man hier nicht.

Es ist die für immer verlorene Kindheit, die Suche nach dem Vater, von dem nur ein Fragezeichen geblieben ist. Im Alter von 14 Jahren kam Hooman nach Norwegen. Allein. Zu seinen mal auschoreografierten, dann wieder bewusst ungelenken Tanzfiguren rezitiert Sharifi Texte des großen Einsamen der Literatur, Samuel Beckett, aus seinen Erzählungen und Texten um Nichts. Darum herum verwebt er eigene Textbausteine, von Einsamkeit und Fremdheit: How long have I been here? Und von seiner Sehnsucht, die Konventionen zu brechen. Hier vollzieht er sie, indem er die Bühnenkonvention bricht, die saubere Trennung von Performer und Zuschauer. Immer wieder bezieht er das Publikum ein, fordert es gar zu einer Tanzrunde heraus.

Die Straße war sein erster Lehrmeister, die rohen, ehrlichen Tänze des Hip-Hop und Street-Jazz, sie erschlossen ihm die Freude am Tanz und sind in seinem Stil noch spürbar. 1997 schließlich tauschte er sie ein gegen die Solidität einer Ausbildung an der School for Contemporary Dance, am National College of Ballet and Dance und Kurse am College of Art in Oslo.

Nach seinem Abschluss im Jahre 2000 arbeitete er mit wechselnden Kompanien in verschiedenen Projekten und gründete die Impure Company, eine Performancegruppe, die sich dezidiert gesellschaftlich versteht und in ihrer Kunst immer auch politisch Stellung bezieht, Kunst sogar mit Politik gleichsetzt.

Seine subjektiven Zustände und Gedanken entwickelt Sharifi zunächst ganz persönlich, um sie später in der Bewegung für alle Individuen zu objektivieren und universell erfahrbar zu machen. In Suddenly... überträgt er das Bewusstsein der eigenen Einsamkeit auf die Gesellschaft, in der Realität ganz radikal auf die, die vor ihm sitzen. Er wandert durch die Reihen, spricht Einzelne an. Ein Verlassener ist er, der aufbegehrt gegen das Verlassensein, durch den Vater, durch die Gesellschaft. Er ruft den Vater an, fragt, warum er ihn alleine ließ.

Dieser Mensch manifestiert seine Wut auf die Gesellschaft. Die Performance ist eine Möglichkeit, dies in wunderbar berührenden Bildern auszuformen. Eine Antwort können aber auch sie nicht liefern.

Annette Stiekele

Premiere im Doppelprogramm mit Benji Reids: The Holiday: Donnerstag, 7. Juni, 20 Uhr; weitere Vorstellungen: 8.,9. Juni, 20 Uhr, Kampnagel, k1