Koalitions-Kuscheln beim Pausentee

■ Für manche ist es Wahlkampf, für andere die längste Halbzeit

Beim Fußball weiß jeder, wozu die Halbzeit gut ist: Die Zuschauer können pinkeln gehen und sich Bier und Bratwurst holen, während der Trainer sein Team zusammenscheißt und die Versager auswechselt. Aber in der Politik? Ja gut, zumindest die SPD hat ihren Anhängern während ihrer „Halbzeitkampagne“ Woche für Woche reichliche Stärkung angedeihen lassen, und erleichtern konnten sie sich auch – mit Murren über die CDU-Mitspieler im Senat. Aber Auswechslungen? Bernt Schulte (CDU), der als Einziger die Senatsriege verlässt, wurde von den eigenen Fans so lange ausgepfiffen, bis er demoralisiert vom Platz ging.

Teamchef Henning Scherf (SPD) hatte dagegen in seiner gestrigen Pausenansprache nur lobende Worte für seine Regierungsmannschaft. „Auf der Basis der bisherigen Erfolge“ will er den Strukturwandel weiter vorantreiben und bekennt freimütig, dass das Wirtschaftswachstum „von den öffentlichen Investitionen lebt“. Rund 8.000 neue Arbeitsplätze im letzten Jahr seien ein Beleg für eine erfolgreiche Sanierungspolitik. Das hätten in Bremen eigentlich alle verstanden – bis auf die Arbeitnehmerkammer. Scherf weiß auch nicht, warum. Er geht „optimistisch“ in die zweite Halbzeit – auch weil es im Team der großen Koalition „kein Fingerhakeln gebe“.

Etwas vorsichtiger fällt die Halbzeitbilanz von Finanzsenator Hartmut Perschau (CDU) aus: Zwar hätten sechs Jahre Große Koalition das Ansehen Bremens verbessert, das Land sei ein „Mekka der Verwaltungsreform“ geworden, aber dennoch noch lange nicht über den Berg. Sichtbar werde das zum Beispiel an der Zins-Steuer-Quote: Musste Bremen 1995 noch 30 Prozent seiner Steuereinnahmen für Zinsen aufwenden, seien es heute noch 21,8 Prozent – deutlich weniger zwar, aber immer noch viel zu viel. Um solche Fehlentwicklungen zu korrigieren, müsse Bremen „langfristig Kurs halten“. Für Perschau muss dafür die große Koalition fortgesetzt werden – obwohl die SPD-Fraktion gelegentlich „Sand ins Getriebe streue“.

Eben darum will Scherf sich in der Koalitionsfrage lieber nicht festlegen, aber nach jahrelanger trauter Zweisamkeit kennt Perschau das Seelenleben seines Partners: „Mögen täte er schon wollen, aber dürfen hat er sich noch nicht getraut“, plaudert der Finanzsenator. Scherf grinst. Das vergeht ihm Minuten später: Auf die Frage nach Jürgen Lüthge als hochdotiertem „Staatsrat de Luxe“ sagt Perschau vornehm, man rede dem Partner nicht herein, wolle aber unter den Staatsräten keine neuen Hierarchien schaffen, „die nichts mit dem Faktor Leistung zu tun haben“. „Gleich geht er hoch“, murmelt ein Pressekollege, und richtig: Scherf echauffiert sich lautstark über den unbotmäßigen Fragesteller: „Gehaltsverhandlungen führen wir nicht öffentlich, oder tun Sie das bei der Frankfurter Rundschau?“ Durch eine „Indiskretion“ will er seine Personalpolitik nicht stören lassen. „Wer das glaubt, hat sich in der Stärke der Landesregierung verschätzt“, poltert ihr Chef, und abschließend, indigniert: „Wir sind doch nicht Berlin.“ Zack.

Solche Auftritte muss die Grünen Fraktionsvorsitzende Karoline Linnert meinen, wenn sie in ihrer Halbzeitbilanz der Großen Koalition „Arroganz der Macht“ vorwirft; Bürger würden vom Senat „abgewatscht“. Zumindest die Opposition wird von der Regierung anscheinend schon lange nicht mehr ernst genommen, flachst doch Perschau zu Linnert, sie solle ruhig „ordentlich feste drauf hauen“. Die braucht derlei Ermunterung nicht: Zwar trügen die Grünen die Leitlinie „Sparen und Investieren“ mit, allerdings mit anderer Gewichtung: Sie wollen die Lebensqualität in Bremen erhöhen, um Einwohner zu halten, und stattdessen von den Großprojekten der Koalition Abschied nehmen. Die tragen nämlich aus Sicht der Grünen dazu bei, dass die Schuldenlast unter Einbeziehung von Schattenhaushalten im Jahre 2003 höher sei als vor der Sanierungsphase. Das sei nicht zu rechtfertigen, weil das Ziel eines Wirtschaftswachstums über dem Bundesdurchschnitt nicht erreicht worden sei. Weiter werfen die Grünen dem Senat unverantwortlichen Flächenverbrauch vor: Trotz schrumpfender Bevölkerung habe der extrem dünn besiedelte Stadtstaat in den vergangenen Jahren 6,7 Prozent seiner Fläche für neue Siedlungsgebiete ausgewiesen, statt zu verdichten. Jan Kahlcke