„Wenn’s passiert, dann passiert’s“

Trotz der jüngsten Anschläge geht das Leben in Israel seinen gewohnten Gang. Von Panik ist bei den Menschen nichts zu spüren. Der von Scharon und Arafat angekündigte Gewaltverzicht stößt bei vielen Palästinensern und Israelis auf Ablehnung

aus Jerusalem SUSANNE KNAUL

An der Auffahrt zum Parkplatz des Einkaufszentrums Harel, wenige Kilometer vor Jerusalem, geht es mühsam voran. Wagen für Wagen wird notiert und die Kofferräume auf mögliche Sprengstoffladungen kontrolliert. Weitere Sicherheitsbeamte sind an den Eingängen postiert, um Taschen zu durchsuchen. Wer den Supermarkt erreicht, hat nicht weniger als drei Wachposten hinter sich gebracht. Das sind ungewöhnliche Sicherheitsmaßnahmen, sollte man denken. Doch ist es business as usual. Auch die im Einkaufszentrum patrouillierenden Soldatinnen gehören zum Alltag.

Wenige Tage nach dem blutigen Attentat vor einer Diskothek in Tel Aviv sind die Restaurants und Boutiquen wieder so gut besucht, als sei nichts geschehen. „Dass wir heute wenig Kunden haben, liegt nicht an der politischen Situation“, sagt die junge Bedienung bei McDonald’s. Die Studenten müssten sich auf ihre Abschlussklausuren vorbereiten und blieben zu Hause. Ob sie keine Angst habe, wenn sie sich täglich in einem Einkaufszentrum aufhalten müsse? „Wenn es passiert, dann passiert es. Wir können uns nicht ständig den Kopf darüber zerbrechen.“

Die Israelis sind trotz der jüngsten Attentate von Panik weit entfernt. Dabei scheinen sich nur wenige bewusst zu sein, dass ihre Gemütsruhe in diesen Tagen begründet ist. „Was für eine veränderte Befehlslage?“, zuckt die Mc-Donald’s-Bedienung mit den Schultern auf die Frage, ob sie glaubt, dass Palästinenserpräsident Jassir Arafat mit der Ankündigung einer Feuerpause Wort halten wird. Am Wochenende befahl er seinen Sicherheitskräften, Gewalt zu unterbinden. Palästinensischen Berichten zufolge wollen sich auch die islamischen Widerstandsgruppen vorläufig daran halten. Jedoch hatte tags zuvor Scheich Achmad Jassin, Chef der Hamas im Gaza-Streifen, einen Waffenstillstand abgelehnt. „Was bleibt übrig, wenn wir zusehen müssen, wie unsere Brüder ermordet werden“, begründet er sein Festhalten am militanten Widerstand. Arafat habe internationalem Druck nachgeben müssen, den Willen des Volkes repräsentiere er mit der Feuerpause nicht.

Umfragen des Palästinensischen Zentrums für öffentliche Meinung zufolge unterstützen 76,1 Prozent der Bevölkerung Attentate gegen die israelische Zivilbevölkerung. Nur 34,3 Prozent befürworten die von Arafat ausgerufene Feuerpause. Gleichzeitig trauen über 80 Prozent nicht dem vor zwei Wochen von Scharon erklärten Waffenstillstand.

Auch auf israelischer Seite trifft der Regierungschef mit seiner zurückhaltenden Politik nicht auf volle Unterstützung. Die jüdischen Siedler und Anhänger der Rechtsparteien riefen gestern zur Teilnahme an einer Massendemonstration in Jerusalem auf. Die Rechte fordert Scharon zum Sturz Arafats auf.

Die angespannte Situation zwischen Israelis und Palästinensern wirkt sich vielerorts auch auf das friedliche Miteinander zwischen Juden und Arabern im israelischen Kernland aus. Anfang der Woche musste ein arabischer Student, der von Jerusalem nach Tel Aviv fahren wollte, den Bus verlassen, um sich kontrollieren zu lassen. Eine Frau hatte sich geweigert, in den Bus einzusteigen. Einzig friedlich scheint es in den gemischten Städten zuzugehen. „Die Juden würden es nicht wagen, uns anzugreifen, denn sie wissen, dass wir stärker sind“, meint Mahmud Gaasus aus Lod, der eine Autowaschanlage unterhält. Seine vier arabischen Mitarbeiter haben alle Hände voll zu tun. Gaasus’ Kunden sind fast ausnahmslos Juden. „Das ist es, was mich interessiert“, sagt Gaasus. „Wie mein Geschäft geht. Wer sind die überhaupt, Arafat und Scharon?“