Bei Angriff hilflos

Firmen sollen sich gegen feindliche Übernahmeversuche kaum wehren können. Darauf haben sich EU-Kommission und Parlament geeinigt

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Der Kompromiss kam in letzter Minute zustande. In der Nacht zum Mittwoch hat sich der Vermittlungsausschuss zwischen dem Europäischen Rat, der EU-Kommission und dem Parlament in Luxemburg darauf geeinigt, nach welchen Spielregeln Aktiengesellschaften von Konkurrenten an der Börse gekauft werden dürfen.

Gestern lief die Vermittlungsfrist aus. Ohne Einigung wäre die gesetzgeberische Arbeit mehrerer Jahre hinfällig geworden. Nach dem nun beschlossenen Text sind Vorratsbeschlüsse, in denen die Aktionärsversammlung dem Management eine Blankovollmacht einräumt, um Übernahmeangebote mit allen möglichen Mitteln abzuwehren, künftig verboten.

Diese „Neutralitätspflicht“ des Managements soll allerdings erst in fünf Jahren wirksam werden. Eine von der Kommission ernannte Expertengruppe soll bis März 2002 untersuchen, ob in allen Mitgliedsländern die gleichen Ausgangsbedingungen für Aktionäre und Unternehmen bestehen. Eventuell sollen die Experten Vorschläge machen, wie bis 2006 Chancengleichheit hergestellt werden kann.

Die übrigen Teile der Richtlinie treten schon nach vier Jahren in Kraft. Über die so genannte Übernahmerichtlinie wird innerhalb der Union seit gut 12 Jahren gestritten. Das Europaparlament wehrt sich gegen die Liberalisierungspläne von Rat und Kommission, die „feindliche Übernahmen“ von Aktiengesellschaften erleichtern und die Abwehrmöglichkeiten des Managements beschränken. Nach Überzeugung von Binnenmarktkommissar Frits Bolkestein kann sich die europäische Wirtschaft aber nur dann international behaupten, wenn Manager ihre Konzerne ohne Rücksicht auf nationale Grenzen zusammenbauen dürfen.

Das sah die deutsche Bundesregierung jahrelang genauso. Gemeinsam mit den anderen vierzehn EU-Regierungen lehnte sie Änderungswünsche des EU-Parlaments ab, das in der Übernahmerichtlinie die Rechte des Managements und der Arbeitnehmervertretung gestärkt sehen wollte. Ende April änderte Deutschland jedoch überraschend seine Haltung. Der „Autokanzler“ soll nach einem Gespräch mit VW-Chef Piëch übergelaufen sein. Die deutsche Autobranche wird von der Sorge umgetrieben, sie könnte demnächst enden wie Mannesmann, das vom britischen Konkurrenten Vodafone aufgekauft und in Einzelteile zerlegt wurde.

Der deutsche Sinneswandel, so merkte EP-Vizepräsident James Provan gestern bei einer Pressekonferenz an, habe die Arbeit im Vermittlungsausschuss nicht erleichtert. Es sei das erste Mal, dass eine Regierung einen bereits erreichten Ratskompromiss wieder aufgekündigt habe. „So etwas möchte der Rat nicht noch einmal erleben.“ Die Arbeit der Parlamentsdelegation sei dadurch erschwert, das Gesprächsklima im Vermittlungsausschuss verhärtet worden. Mit knapper Mehrheit von acht zu sieben Stimmen billigten die Parlamentarier am Ende den Kompromiss. Sie trösteten sich damit, dass umfassende Arbeitnehmerrechte in die Endfassung geschrieben wurden: Das angreifende Unternehmen muss die Arbeitnehmervertreter umfassend über Inhalt des Übernahmeangebots und Konsequenzen für die Arbeitsplätze informieren. Ausschussmitglied Klaus-Heiner Lehne, Europäische Volkspartei (EVP), der selbst gegen den Kompromiss gestimmt hatte, äußerte sich gestern skeptisch über das Ergebnis: Es unterscheide sich nur geringfügig von dem Text, den Rat und Kommission ursprünglich eingebracht hätten. „Die Neutralitätspflicht könnte in fünf Jahren in Kraft treten, ohne dass wir Waffengleichheit in Europa haben.“ Lehne spielte damit auf die Tatsache an, dass zum Beispiel in Frankreich der Staat eine „goldene Aktie“ in einer privatisierten Gesellschaft behalten kann und damit Einspruchsmöglichkeiten hat, die in anderen Ländern nicht bestehen. Auch die Bundesregierung hatte argumentiert, sie werde der Übernahmerichtlinie sofort zustimmen, wenn gleiche Rahmenbedingungen für alle nationalen Aktiengesellschaften erreicht seien. Ob Deutschland nun seine Pläne für ein nationales Übernahmegesetz ändert, das in Widerspruch zu den EU-Beschlüssen steht, wollte ein Sprecher des Finanzministeriums am Donnerstag noch nicht bestätigen. Darüber entscheide der Kanzler persönlich. Kommissionssprecher Jonathan Todd sagte, es stehe jeder Regierung frei, erst einmal eigene Gesetze zu verabschieden. Erst wenn die EU-Regelung in Kraft trete, seien die nationalen Alleingänge beendet.