SPD-Schwund
: Adieu Volkspartei

■ Politikverdruss, Selbstgefälligkeit, Substanzverlust – die SPD blutet aus

Die Bremer SPD hat in den letzten zehn Jahren rund vierzig Prozent ihrer Mitglieder verloren – so viel wie kein anderer Landesverband. Wie es mit den Parteien im 21. Jahrhundert weitergeht, wollte die taz von Roland Lhotta wissen, Hochschuldozent für Politikwissenschaft an der Bremer Uni.

taz: Warum hat es gerade die Bremer SPD so hart getroffen?

Lhotta: Das liegt am inhaltlichen Substanzverlust in den Jahren der großen Koalition. Zusammen mit der CDU hat sich die Bremer SPD mit den Jahren personell und inhaltlich verbraucht.

Gibt es in Bremen bald nur noch Berufspolitiker?

Die Volksparteien oder – sagen wir besser die früheren Volksparteien – leiden beide seit den 80er Jahren unter einem anhaltenden Mitgliederschwund. Das hat verschiedene Ursachen: Die tradionellen Bindungen gerade an eine Partei wie die SPD sind nicht mehr so hoch wie früher. Selbst Stammwähler machen immer öfter ihr Kreuzchen woanders.

Was macht die Parteien so unattraktiv?

Ein ganz großes Problem ist die massive Überalterung. Die Leute treten nicht aus der Partei aus, sie sterben weg. Und nicht nur das: Auch die Organisationsstrukturen sind veraltet. Wenn junge Leute zum Ortsverein der SPD gehen, denken die: Sowas muss ich mir nicht antun.

Kann man was dagegen tun?

Es ist kein Zufall, dass beide große Parteien in den letzten Monaten intensive Initiativen gestartet haben, zum Beispiel über Internet und Netzwerke. Oder Probemitgliedschaften, wie das die FDP gemacht hat, oder das Öffnen von Parteitagen für Andere.

Dabei haben doch sowohl SPD als auch CDU Jugendorgansiationen.

Die CDU ist derzeit deutlich erfolgreicher, Nachwuchs zum Beitritt zu bewegen. Sie schafft es auch eher, die Bedürfnisse und Probleme Jugendlicher anzusprechen.

Gehen den Parteien mit ihren Mitgliedern nicht jede Menge Beiträge flöten?

Die Partei-Finanzen sind an drei Parameter gekoppelt: die Zahl der Mitgliedsbeiträge, der Wahlerfolg und das Spendenaufkommen. Das Wegbrechen der Mitglieder bedeutet aber keine existentielle Bedrohung für die Parteien.

Haben Parteien überhaupt noch eine Zukunft?

Früher galten Parteien als der Transmissionsriemen, der die Probleme aus der Gesellschaft in die Politik transportiert. Aber heute wissen sie nicht mehr viel von der Basis. Es wäre gut, verstärkt Elemente der Volksdemokratie wie Bürgerbegehren einzuführen.

Das gibt es – nur nicht in Bremen ...

Das stimmt. Wenn man auf die Kommunalebene – etwa nach Niedersachsen – schaut, sieht man erste Erfolge. Referenden haben eine erstaunliche Korrektivwirkung. Die Selbstgefälligkeit der Politiker wird durchbrochen. Und die Leute engagieren sich mehr, wenn sie von Politik betroffen sind.

Wird man sich von der Idee der Volkspartei verabschieden müssen?

Ja. Ich weiß gar nicht, ob das so besorgniserregend ist, wenn Mitglieder wegbrechen. Das hat auch was heilsames. Es mag dazu zwingen, einen Reflektionsprozess in Gang zu setzen. Sei es nun für die SPD in spezifischer Weise hier in Bremen oder für alle Parteien.“

Fragen:

Dorothee Krumpipe