Der erste Zeuge

Im Prozess gegen fünf mutmaßliche Mitglieder der Revolutionären Zellen hat gestern der Ermittlungsführer des Bundeskriminalamts ausgesagt

Dass es in Berlin eine eigene Zelle gebe, habe man „aufgrund der Insellage“ geschlossen

von TOBIAS SINGELNSTEIN

Warten auf den Kronzeugen. In dem Prozess gegen fünf mutmaßliche Mitglieder der militanten „Revolutionären Zellen“ (RZ) vor dem Kammergericht wurde gestern als erster Zeuge der Ermittlungsführer des Bundeskriminalamtes (BKA), Klaus Schulzke, vernommen. Der 60-jährigeHauptkomissar a. D. wurde sowohl zu Geschichte und Motivation der RZ als auch zum konkreten Verlauf der Ermittlungen befragt.

Ein besonderes Augenmerk legte das Gericht darauf, wie der als zentrale Beweisperson geltende Tarek Mousli Kronzeuge wurde und welche Erkenntnisse das BKA vor dessen Aussagen überhaupt besaß. Damit wollte das Gericht die Weichen für die in der kommenden Woche geplante Vernehmung des Kronzeugen stellen, mit dessen Aussage die Anklage steht und fällt.

Darüber hinaus stellte die Rechtsanwältin Andrea Würdinger gestern einen Antrag auf Übermittlung von 43 Aktenteilen aus dem Ermittlungsverfahren, die die Bundesanwaltschaft bislang dem Gericht und der Verteidigung vorenthalten hat. Die Existenz dieser Teile ergibt sich aber aus den anderen Akten.

BKA-Ermittler Schulzke ist erst seit 1994 mit dem Komplex RZ befasst. Er gilt auf Seiten der Polizei als zentrale Person der Ermittlungen. Der heutige Pensionär führte nicht nur die Untersuchungen. Er war auch federführend am Aufbau Tarek Mouslis zum Kronzeugen beteiligt.

Bis das BKA 1998 auf Mousli stieß, waren die Erkenntnisse der Ermittler über die RZ äußerst gering. Der Gruppierung werden vom BKA etwa 40 Anschläge in Berlin seit 1973 zugeordnet. Diese Zuordnung sei jedoch lediglich über die BekennerInnenschreiben möglich gewesen, wie Schulzke gestern angab. Dass es in Berlin eine eigene Zelle gebe, habe man dann „aufgrund der Insellage“ vor der Wende geschlossen. Auch hätten die Beamten nur vermuten können, dass zu einer Zelle im Allgemeinen „drei bis fünf Personen“ gehören müssten.

Auf Tarek Mousli kam das BKA nach Schulzke durch einen Zufall 1998: Die Berliner Polizei habe 1995 bei einem Jugendlichen mehrere Stangen Sprengstoff gefunden. Diese seien vom BKA später als Teil der Beute aus einem Diebstahl in einem Steinbruch 1987 identifiziert worden, der der RZ zugeordnet wird. Der Jugendliche habe daraufhin ausgesagt, die Stangen bei einem Einbruch in einen Keller in der Schönhauser Allee gefunden zu haben: dem Keller von Tarek Mousli.

Mousli wurde daraufhin wiederholt festgenommen und befragt, aber immer wieder auf freien Fuß gesetzt. Erst nach den Aussagen seiner ehemaligen Lebensgefährtin und weiteren Ermittlungen habe man das Ermittlungsverfahren auf Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung ausgedehnt, so Schulzke gestern. Aufgrund dessen war Mousli dann im November 1999 endgültig festgenommen worden: „Auf der Fahrt zur Bundesanwaltschaft habe ich Herrn Mousli auf die Kronzeugenregelung und deren Auslaufen Ende 1999 hingewiesen“, erklärte Schulzke.

Mousli hätte sich hierzu jedoch nicht geäußert. Erst am Abend und nach einen Telefonat mit seiner Lebensgefährtin habe sich Mousli dann dazu entschlossen, die Kronzeugenregelung in Anspruch zu nehmen. Für den Fall umfangreicher Aussagen auch über andere Tatbeteiligte seien Strafmilderung bis hin zu einer Bewährungsstrafe in Aussicht gestellt worden.