Angela Merkel ist auch noch da

Das Thema Einwanderung spielte auf dem kleinen Parteitag der CDU nur eine untergeordnete Rolle. Will Angela Merkel Kanzlerkandidatin werden? Die Parteivorsitzende weiß nicht, ob sie CSU-Chef Edmund Stoiber Konkurrenz machen soll

von PATRIK SCHWARZ

Plötzlich spricht die Vorsitzende von 1976, und spätestens da ist klar, dass es Angela Merkel mit dem Glauben an einen Wahlsieg so ernst nicht sein kann. 1976 unterlag der junge CDU-Herausforderer Helmut Kohl dem amtierenden Kanzler Helmut Schmidt von der SPD. Doch Merkel preist die Wahl, schließlich sei es der Union damals gelungen, stärkste Fraktion im Bundestag zu werden. Die nachgeschobene Beteuerung, natürlich wolle man außerdem die Regierung ablösen, löst nur matten Beifall aus.

Dieser Donnerstag ist nicht Merkels Tag. Dabei hatte sie ihren Auftritt auf dem eintägigen „kleinen Parteitag“ der CDU in Berlin schlau eingefädelt. „So macht man das“, befand anerkennend Hessens Ministerpräsident Roland Koch, den viele inner- wie außerhalb der CDU für einen der erfahrensten Trickser der Partei halten.

24 Stunden bevor die etwa hundert Delegierten Platz nahmen, hatte Merkel bereits auf zwei ganzen Zeitungsseiten in der Welt ihr Konzept einer CDU präsentiert, die Gerhard Schröder die „Mitte“ der Gesellschaft streitig machen soll. Zuvor hatte CSU-Chef Edmund Stoiber sich immer deutlicher als gemeinsamer Kanzlerkandidat der Union empfohlen. Merkels Anspruch war kaum mehr wahrnehmbar. Die Botschaft ihres Grundsatzpapiers schien also klar: „Ich will“, titelte das Hamburger Abendblatt über einem großen Merkel-Foto.

Die CDU-Vorsitzende selbst bot gestern mit ihrem insgesamt unglücklichen Auftritt nicht einmal ein „Ich bin auch noch da“. Diffus sprach sie davon, der Zeitplan der Union, erst im Frühjahr 2002 einen Kanzlerkandidaten zu bestimmen, in eine Stärke zu verwandeln. Konfus verteidigte sie sich gegen den Vorwurf, in den 179 Sätzen ihres Papiers sei kein einziges Mal das Wort „konservativ“ gefallen. Den Delegierten versuchte Merkel das Herz mit Familienpolitik zu wärmen. Die Union müsse Verantwortung für die nächste Generation zeigen. Dem Kanzler warf Merkel einen Satz vor, den dieser als Juso-Vorsitzender gesagt haben soll: „Topfblumen und Kinder gehören in keinen anständigen Haushalt“. Da habe er die Erziehungstipps seiner Ehefrau ja nötig. Die Lacher blieben aus.

Merkels Problem war kein rhetorisches. Sie ist sich offenbar selbst nicht klar, wie sie in Konkurrenz zu Stoiber agieren soll. Und ob sie will, wissen nicht mal Vertraute. „Es wäre unklug für sie, jetzt die Option auf die Kanzlerkandidatur aufzugeben“, sagt ein CDU-Vorstandsmitglied ausweichend. „Insofern frage ich sie auch nicht, ob sie will.“

Programmatisch hat die CDU-Vorsitzende sich mit dem demonstrativen Bekenntnis zur Mitte in Schwierigkeiten gebracht. Nicht nur kämpft sie damit auf Schröders Territorium, sie tut es auch noch mit seinen Begriffen. In der Werbebranche gilt es als hoffnungslos, einen stärkeren Wettbewerber mit seinem eigenen Slogan anzugreifen. In der Politik verhält es sich kaum anders. In den hinteren Reihen des Konferenzsaals strich gestern ein zufrieden lächelnder Mitarbeiter des SPD-Wahlkampfteams auf und ab. Zur Feindbeobachtung abgestellt, befand er über Merkels Konzept genüßlich: „Pennälerhaft“ sei der Versuch ausgefallen, die Sozialdemokraten zu kopieren.

Bei den Konservativen in der CDU sieht man Merkels neuen Mitte-Kurs ohnehin skeptisch. Vor den Kameras spielt Roland Koch, Fuchs der er ist, allerdings den Ahnungslosen. Merkels Absage an Hardliner-Positionen stellt er als Selbstverständlichkeit dar: „Mit konservativ alleine gibt es keine Mehrheiten.“

Einen kleinen Erfolg haben die Konservativen gestern zumindest errungen. Auf dem Parteitag, der offiziell der Verabschiedung des CDU-Zuwanderungskonzepts diente, konnten sie – ohne nennenswerten Widerstand – einen neuen Titel durchsetzen: Die CDU fordert nicht länger „Zuwanderung steuern. Integration fördern“, sondern „Zuwanderung begrenzen und steuern. Integration fördern.“

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