Gysi, stemm den Bär!

Die große Koalition ist zerbrochen. Berlin steht vor baldigen Neuwahlen. Koalition aus SPD, PDS und Grünen möglich. Kanzler Schröder lässt Berliner SPD freie Hand

BERLIN taz ■ Jetzt muss er sich entscheiden, früher als gedacht. In Berlin hat die SPD ihre Koalition mit der CDU gestern endgültig aufgekündigt, voraussichtlich im Herbst wird neu gewählt. Alle Augen richten sich jetzt auf den PDS-Politiker Gregor Gysi, der schon seit Monaten mit einer Kandidatur an der Spree liebäugelt. Auch gestern wieder forderte Gysi „neue Köpfe“ für Berlin. Er selbst brauche allerdings noch einige Zeit für die Entscheidung.

Bei einer Direktwahl des Regierenden Bürgermeisters hätte Gysi nach jüngsten Umfragen durchaus Chancen, gegen den bisherigen Amtsinhaber Eberhard Diepgen (CDU) zu gewinnen. Weil die Berliner Verfassung eine solche Direktwahl aber nicht vorsieht, müsste die SPD über ihren Schatten springen und eine Kandidatur Gysis unterstützen. „Wenn er antritt, würde er auch gern wissen, dass er auch zum Bürgermeister gewählt wird“, sagte PDS-Sprecher Hanno Harnisch. Bislang deutet jedoch alles darauf hin, dass die Sozialdemokraten mit ihrem Fraktionschef Klaus Wowereit ins Rennen gehen. Wowereit ist allerdings, auch in Berlin, noch kaum bekannt.

In der Nacht zu Donnerstag hatten sich SPD und CDU nicht darauf einigen können, wie das Milliardenloch im Berliner Landeshaushalt gestopft werden soll. Jetzt will die SPD vorgezogene Neuwahlen anstreben und eine Koalition mit PDS und Grünen bilden. Bundeskanzler Gerhard Schröder stellte es der Berliner SPD anheim, mit wem sie koalieren möchte. „Was auch immer in Berlin entschieden wird, die Bundesführung der SPD wird diese Entscheidung solidarisch begleiten“, erklärte Schröder. Zugleich deutete der Kanzler an, dass er Bundeshilfen für Berlin bei der Bewältigung der massiven Finanzprobleme der Hauptstadt nicht völlig ausschließe. Die CDU, die einer Auflösung des Parlaments zustimmen müsste, widersetzt sich dieser Forderung nicht. Allerdings gibt es Streit um den Wahltermin. Während sich SPD, PDS und Grüne für Ende September aussprechen, plädiert die Union für den Spätherbst. Am 23. September wird auch in Hamburg gewählt.

Diepgen selbst ließ gestern offen, ob er erneut als CDU-Spitzenkandidat antreten will. Offenbar hofft der Regierungschef, dass seine Partei auch elf Jahre nach dem Fall der Mauer von einer Kampagne gegen eine Regierungsbeteiligung der „Postkommunisten“ profitieren kann – vor allem in dem Fall, dass Gysi tatsächlich für die PDS ins Rennen geht. „Die SPD geht einen schweren Weg“, sagte Diepgen, Die geplante Zusammenarbeit mit der PDS sei ein „Tabubruch“.

Auslöser für die Regierungskrise war ein Haushaltsloch in Höhe von sechs Milliarden Mark, das durch Missmanagement bei der mehrheitlich landeseigenen Bankgesellschaft verursacht wurde. Im Konzernvorstand war der frühere CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky für den verlustreichen Immobilienbereich verantwortlich. Erst auf Druck der SPD trat Landowsky im Mai vom Fraktionsvorsitz zurück, ließ sich aber im Gegenzug zum stellvertretenden Landesvorsitzenden wählen. RAB

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