„Die SPD darf nicht für eine Linkskoalition kämpfen“

Der Forsa-Wahlforscher Manfred Güllner rät der CDU, bei Neuwahlen in Berlin mit frischem Personal anzutreten. Der Lagerwahlkampf biete ihr zudem immer noch Chancen im Westteil der Stadt. Die SPD müsse daher für sich selbst werben. Renaissance der FDP könnte Bedeutung der PDS relativieren

taz: Die große Koalition ist nach zehn Jahren geplatzt. In Berlin werden die Karten neu gemischt. Kann man jetzt überhaupt sichere Aussagen über das zukünftige Wahlverhalten machen?

Manfred Güllner: Sichere Aussagen nicht. Die Menschen müssen die Ereignisse der vergangenen Tage erst noch verarbeiten. Man kann aber heute schon sagen: Sie nehmen einen Bruch der bisherigen Entwicklung wahr. Eberhard Diepgen ist ein Symbol des alten Westberliner Politikmanagements, das auch in der wiedervereinigten Stadt weiterging. Jetzt gibt es eine echte Zäsur.

Ändern Wähler ihre Präferenzen unter dem Eindruck so spektakulärer Ereignisse wie dem Koalitionsbruch?

Die Menschen bilden sich ihre Meinung meist sehr schnell. Gerade in Berlin stellen wir generell ein hohes Interesse am aktuellen politischen Geschehen fest. Die Bankenäffäre etwa wurde von den Leuten sehr aufmerksam verfolgt. Und auch bewertet: Die CDU als Partei und die Person Eberhard Diepgen haben deutliche Verluste bei den Sympathiewerten hinnehmen müssen.

Wie sehen die Menschen den Koalitionsbruch?

Die große Koalition war in der Stadt seit Jahren nicht beliebt. Nicht wegen der Koalitionsform als solcher, sondern wegen ihrer Arbeit. Die Unzufriedenheit mit dem Senat ist in Berlin außerordentlich groß.

Wer steht als Sieger da, wer als Verlierer?

Die Schuld am Koalitionsbruch wird man eher der CDU zuweisen. Schließlich war sie in der Person Landowsky ja überdeutlich in die Krise der Bankgesellschaft verwickelt. Die SPD hingegen ist dort nicht mit Personen sichtbar geworden.

Demnach wäre die Union gut beraten, bei Neuwahlen mit frischem Personal anzutreten.

Die Ära Diepgen ist vorbei und damit das Westberliner Politikmanagment. In der neuen Gesamtstadt sollte die CDU tatsächlich mit neuen Leuten antreten.

Die SPD steuert auf eine Zusammenarbeit mit der PDS hin.

Die Frage, wie man es mit der PDS hält, spaltete die Menschen nach wie vor – in Westberlin. Auch die Westberliner SPD-Anhänger sind hier gespalten: Ein Teil meint, die PDS sei zu einer ganz normalen demokratischen Partei geworden. Der andere Teil sagt: Nein, das sind noch die alten Kommunisten, mit denen darf man nicht kooperieren und schon gar keine Koalition eingehen. In Ostberlin gibt es eine solche Ablehnung der PDS weder unter den SPD-Anhängern noch in der Gesamtwählerschaft.

Die Zusammenarbeit mit der PDS bleibt also ein Risiko für die SPD.

Gewiss. Deshalb darf die SPD auch nicht für eine Linkskoalition kämpfen. Sie muss vielmehr versuchen, ihre potenziellen Wähler dazu zu bringen, sich auch tatsächlich zur SPD zu bekennen. Es ist auf Berliner Ebene keine Selbstverständlichkeit, dass die SPD ihr Potenzial auch nur annähernd ausschöpft. Bei der Bundestagswahl 1998 bekam die SPD 38 Prozent. Ein Jahr später bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus waren es nur 22 Prozent.

Die CDU will die Sozialdemokraten in einen scharfen Lagerwahlkampf zwingen.

Das ist die Chance der Union: die eigenen Anhänger mobilisieren und an den Westberliner Wählerteil appellieren, der noch Vorbehalte gegen die PDS hat.

Kann das im Jahr 2001 wirklich noch funktionieren?

Die PDS ist sicherlich akzeptierter geworden und taugt nicht mehr so zum Schreckgespenst wie unmittelbar nach der Wende.

Gregor Gysi erwägt eine Spitzenkandidatur für die PDS.

Die Person Gysi ist einerseits attraktiv für die Ostberliner, denn er wird als ein Sprachrohr aller Ostdeutschen gesehen. Darüber hinaus faszinierte er augenscheinlich einen Teil der Intellektuellen in Westberlin. Andererseits übertragen die Menschen Sympathien nicht automatisch von Personen auf Parteien. Aber 2, 3 oder 4 Prozentpunkte könnte Gysi der PDS wohl bringen.

In Ihrer jüngsten Umfrage stieg die Berliner FDP wie Phönix aus der Asche.

Die Renaissance der FDP ist momentan vielleicht das interessanteste Phänomen. Jahrelang dümpelte sie 2 bis 3 Prozent. Jetzt liegt sie deutlich über 5.

Wo liegen die Gründe?

Die CDU ist durch die Kiep-Millionen bundesweit und in Berlin durch die eigene Spendenaffäre schwach geworden. Da entdecken potenzielle CDU-Anhänger die FDP als zweite bürgerliche Partei wieder. Das könnte natürlich die Koalitionsarithmetik in Berlin entscheidend verändern und die Bedeutung der PDS relativieren.

INTERVIEW: ROBIN ALEXANDER