AUCH IN FRANKREICH HAT DIE PRIVATISIERUNG DER BAHN LÄNGST BEGONNEN
: Deckmäntelchen TGV

Selbstverständlich ist der TGV eine Prestigefrage. Frankreich will damit nicht nur nach innen mit High Tech brillieren, sondern auch auf dem Weltmarkt konkurrieren. Um seine Hochgeschwindigkeitszüge verkaufen zu können, ist jeder Rekord auf der Schiene ein nützliches Argument: die höchste Eisenbahngeschwindigkeit (515,3 Stundenkilometer), die längste Hochgeschwindigkeitsstrecke (1.067,2 Kilometer vom Norden in den Süden des Landes), das größte Netz (1.500 Kilometer) und eine überzeugende Unfallfreiheit (in 20 Jahren 750 Millionen sicher transportierte Passagiere).

Natürlich stimmt auch, dass die französische Bahn hoch verschuldet ist. Ihre positiven Bilanzen verdankt die SNCF vor allem einem buchhalterischen Trick, der darin bestand, die Schulden in gewiefter Umsetzung einer europäischen Richtlinie auf eine vor wenigen Jahren gegründete Schienenbetreibergesellschaft zu verlagern. Diese RFF finanziert jetzt auch einen Teil des neuen TGV-Netzes, was das Schuldenloch weiter vertiefen wird.

Und dennoch: Dass in diesen Tagen zahlreiche Kritiker – vor allem in Großbritannien und Deutschland – auf der französischen Bahnverschuldung herumhacken, hat vor allem politische Gründe. Dahinter verbirgt sich ein liberales Wirtschaftskonzept, wonach auch Transportmittel eine Hauptfunktion haben: Gewinne abwerfen.

Wer mit dem Schuldenargument die französische Staatsbahn angreift, verteidigt direkt die britischen und deutschen Modelle von privatisierten Bahngesellschaften. Dabei haben gerade die Erfahrungen in diesen beiden Ländern besonders deutlich gezeigt, was dabei herauskommen kann, wenn Transportmittel dem Profitstreben untergeordnet werden: Veraltetes Material, schlechte Wartung, steigende Fahrpreise, zunehmende Verspätungen, und immer mehr – teils schwere – Zugunfälle sind deutliche Folgen dieser staatlichen Rückzüge aus dem öffentlichen Dienst im Zugverkehr.

Die SNCF freilich ist längst kein vollwertiges Gegenmodell zu den deutschen und britischen Eisenbahnen mehr. Auch in Frankreich, wo Politiker gern lautstark den öffentlichen Dienst verteidigen, hat die Privatisierung der Eisenbahn längst begonnen. Sie kommt unter dem trügerischen Namen „Regionalisierung“ daher und bringt Streckenstilllegungen, Personalabbau und Haushaltsreduzierungen mit sich, die klammheimlich im Windschatten des TGV-Ausbaus stattfinden. Für Frankreich – wie den Rest der Welt – aber gilt: Hochgeschwindigkeitszüge sind gut für große Strecken und für große Orte. Aber die meisten Menschen brauchen vor allem den klassischen Bahnverkehr und die kleinen Bahnhöfe im Ort. Die müssen weiter leben. DOROTHEA HAHN