Vergesst Stoiber & Merkel!

Wenn die Union einen Kanzlerkandidaten sucht, der wirklich gewinnen kann – oder wenigstens erfolgreich verlieren, dann hat sie nur eine Wahl: Professor Klaus Töpfer

Okay, Töpfer scheiterte einst als Spitzenkandidat gegen Oskar Lafontaine im Saarland – was soll’s?

Suchen CDU und CSU wirklich einen Kanzlerkandidaten, der gewinnen kann? Oder suchen sie eine, der verlieren will? Die Suche nach einem Kandidaten sollte doch von drei Prämissen geleitet sein: 1. Die Wahl ist für die Union gewinnbar. 2. Der Kandidat sollte mit seiner Persönlichkeit und seinem politischen Profil dazu beitragen, einen Wahlsieg wahrscheinlicher zu machen. 3. Der Kandidat sollte im Falle eines Wahlsiegs auch fähig sein, das Amt des Kanzlers auszufüllen.

Das klingt simpler, als es ist. Bei Edmund Stoiber scheitert es an Prämisse 2, bei Angela Merkel derzeit noch an Prämisse 3. Und bei Prämisse 1 sind ohnehin Zweifel angebracht. Das ist für Frau Merkel weniger tragisch. Sie kann warten. Das kann Edmund Stoiber nicht (und verlieren kann er auch nicht). Vielleicht aber könnten sich beide in der Annahme, die Wahl sei nicht zu gewinnen, auf einen Kandidaten verständigen, für den es kein Karriereknick wäre, die Wahl zu verlieren, der aber über jeden Zweifel erhaben wäre, ob er fähig ist, als Herausforderer von Gerhard Schröder anzutreten.

Auch wenn man die Leitartikel des Jahres 2001 noch so gewissenhaft durchforstet, gibt es einen solchen Kandidaten offenbar nicht. Aber: Wie sollte die Optik der Leitartikler auch weitwinkliger sein als die der Union?

Wo gibt es aber einen Christdemokraten, der nach kurzem Nachdenken angenehme Assoziationen auslöst und nach längerem Gespräch auf lebhafte Zustimmung stößt, der dem amtierenden Kanzler aus dem Stand auf Augenhöhe gegenübertritt, weil weltgewandt, sachorientiert („vernünftig“, wie der Kanzler sagen würde), aber vor allem prinzipientreu, standfest und ideenmächtig? – Auf nach Nairobi !

Dort arbeitet bis Anfang nächsten Jahres Professor Klaus Töpfer als Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (Unep). Exzellente Arbeit wird ihm von allen Seiten bescheinigt. Was auch die Bilanz seiner Amtszeit als Umwelt- und später Bauminister in Deutschland war. Nicht von ungefähr ist Töpfer schließlich als Untergeneralsekretär zur UNO gerufen worden.

Was kann Klaus Töpfer der Union bringen? Eine Vision, die ihr fehlt. Ein Programm, das wieder zu ihren Grundwerten passt. Eine Weiterentwicklung der sozialen Marktwirtschaft zu einer Welt(wirtschafts)ordnung, die auf der katholischen Soziallehre fußt. Den Verzicht auf zukunftsfeindliche Mätzchen wie eine Anti-Ökosteuer-Kampagne. Ein CDU-Spitzenkandidat Töpfer steht für Dialogfähigkeit der Union mit Kirchen und Umweltorganisationen, mit der technischen Intelligenz und den Grünen, massenmedial und persönlich. Töpfer könnte wohl als einziger Kanzlerkandidat (aller Parteien) nach einer couragierten Wahlkampagne mehr als die Hälfte der Wähler hinter seiner Partei versammeln, und, falls dies nicht gelänge, mit allen anderen Klein- und Großparteien koalitionsfähig sein.

Was kann ein Kanzler Töpfer Deutschland bringen? Die Sicherheit, dass Globalisierung kein Naturphänomen ist, sondern politisch gestaltbar; das Zurechtrücken von Prioritäten im globalen Maßstab; die Einführung des integralen Nachhaltigkeitsprinzips – von der Klimaschutzfrage über Siedlungs- und Städtebaupolitik bis hin zur Finanz- und zur Zuwanderungspolitik. Die administrative Erfahrung eines langjährigen Landes- und Bundesministers, die weltweite Wertschätzung als Unep-Präsident. Dass somit seine Kanzlerschaft auch das Ansehen der deutschen Außenpolitik in Ländern im Schatten der deutschen Diplomatie (etwa Afrika) befördern würde, wäre eine angenehme Begleiterscheinung. Schließlich würde Töpfers politische Überzeugung als engagierter Christ und Europäer einen wohltuenden Kontrapunkt zur Bild-BamS-Glotze-Beliebigkeit der weitgehend unpolitischen Kanzlerschaft Schröder setzen.

Dass Töpfer bisher nur einmal als Spitzenkandidat bei einer Wahl antrat und – gegen Oskar Lafontaine im Saarland – scheiterte – was soll’s? Im ideologischen Korsett der „Weiter so!“-Bundes-CDU war gegen den damaligen Saarbrücker Kanzler im Wartestand kein Blumentopf zu gewinnen. Der Rückblick gibt keinen Aufschluss über die Wahlchancen Töpfers 2002. Der von Töpfer persönlich in die Landespolitik geholte Peter Müller hat mit einem dezidiert linkskatholischen Kurs inzwischen dafür gesorgt, dass das Saarland schwarz und die Landeshauptstadt Saarbrücken schwarz-grün regiert wird. Auch eine Variante Töpferscher Nachhaltigkeit!

Was immer Töpfer in welcher Funktion auch immer zu Protokoll gab, er gewann Punkte an der Modernisierungsfront der Union, und genau dieses Talent muss ein Kanzlerkandidat mitbringen, der nicht nur das schrumpfende Potenzial der Union mobilisiert und sich bei diesem mit immer engeren Haltungen beliebt macht, sondern das Wählerpotenzial der Union dramatisch erweitert. Und darin unterscheidet sich ein Kandidat einer Oppositionspartei eben auch grundlegend von einem Kanzler(kandidaten) einer Regierungspartei, der im Grunde nur den Laden zusammenhalten und die eigenen Leute zur Wahl bewegen muss. Genau dies hat die Union auf allen Ebenen noch immer nicht verstanden.

Während andere seit Jahren vergeblich versuchen, den deutschen Blair zu geben, könnte Töpfer also der deutsche Prodi werden: ein origineller, fachlich ausgewiesener Professor, der mit persönlicher Überzeugungskraft das politische Lager von Mitte-links bis Mitte-rechts bündelt und so ein echtes Reformbündnis schafft.

Was derzeit an Umfragen zur CDU-Kanzlerkandidatur auf den Markt geworfen wird, ist sowieso nicht einmal das Geld der interessierten Auftraggeber wert. Was nutzt es, wenn eine noch so deutliche Mehrheit der Unions-Anhänger für Kandidat X votiert? Hat die CDU vergessen, dass sie eine 30 + x-Prozent-Partei ist? Interessant ist übrigens auch nicht, ob SPD-Wähler sich für Unionskandidatin M oder Kandidat S aussprechen, solange nicht eine bestimmte Kandidatur zumindest ihr bisheriges Wahlverhalten in Frage stellt oder dann eben ändert. Ein Kanzlerkandidat Töpfer hätte nach der Sommerpause gut und gerne ein halbes Jahr Zeit, um mit einer magnetischen Vorkampagne die Späne abseits alter Polarisierungen neu auszurichten. Im Zuge dessen könnte er auch die Agenda der Union prägen. Eine Kanzlerschaft Töpfer wäre zudem mit den Ambitionen des gegenwärtigen CDU-Führungspersonals vereinbar. Angela Merkel wüchse dann erst in die Rolle der Partei-(und Fraktions-)Vorsitzenden, während Friedrich Merz als Finanz- und Wirtschaftsminister die Position erhielte, die Oskar Lafontaine vorenthalten blieb.

Der Kandidat Töpfer würde zukunftsfeindliche Mätzchen wie Anti-Ökosteuer-Kampagnen unterbinden

Man mag noch einwenden, dass Töpfer die zentralen innenpolitischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre – um Steuer- und Rentenreform, um Spenden- und Flugaffären, um Kosovokrieg und Doppelpass – verpasst hat.

Aber löst dieser Einwand nicht erst recht mehrheitsfähige Hoffnungen auf ebendiese Kanzlerkandidatur aus? Man sollte vielleicht mal in Nairobi anrufen . . .

MARKUS SCHUBERT