„Révolution TGV“

Paris – Marseille in nur drei Stunden: Am Wochenende wird Frankreichs neue acht Milliarden Mark teure Hochgeschwindigkeitsstrecke eingeweiht

aus Paris DOROTHEA HAHN

PLM – die drei Lettern sollte frau sich merken. Sie stehen für Paris, Lyon und Marseille. Und für die rasanteste Eisenbahnverbindung Europas. Von Sonntag an wird der französische Hochgeschwindigkeitszug TGV (Très Grande Vitesse) die drei größten französischen Städte näher zusammenbringen. Wenn er mit 300 Kilometern pro Stunde die burgundische und provenzalische Landschaft durchrast, schrumpfen die 750 Kilometer zwischen Hauptstadt und Mittelmeer siebzehnmal täglich auf drei Stunden zusammen.

Als „Révolution TGV“ feiern die französischen Medien die Eröffnung des neuen Streckenabschnitts von 250 Kilometern Länge. Er führt von Lyon – das bereits vor zwei Jahrzehnten die erste TGV-Verbindung überhaupt erhielt – nach Marseille, wohin die Fahrt bislang viereinhalb Stunden dauerte. Die Hafenstadt stellt sich auf eine Invasion aus dem Norden ein. Als erstes Anzeichen hat eine rasante Immobilienspekulation eingesetzt.

Es ist eine „Revolution“, die in den Büros von Pariser Spitzenbeamten, von Eisenbahnchefs und von Industriekapitänen im Jahre 1989 beschlossen wurde. Bis Mitte der Neunzigerjahre stritten Ingenieure, Architekten, Naturschützer und Regionalpolitiker über die Streckenführung. Dann zeichneten sie eine Linie, die so gerade ist wie koloniale Ländergrenzen und die immer wieder Rhône oder Autobahn überquert und trotz des unruhigen Geländes kaum Kurven und Steigungen enthält. 1995 begannen die Arbeiten an einer der größten Baustellen des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Für die neue Trasse wurden Täler aufgefüllt, Berge geebnet, Brücken gebaut, Tunnel gesprengt.

Der Spaß kostete 25 Milliarden Francs (3,81 Milliarden Euro), von denen der französische Staat nur 10 Prozent, Banken 90 Prozent in Form von Anleihen finanziert haben. Erst in mehr als vier Jahrzehnten sollen diese Anleihen zurückgezahlt sein. Vor der Jungfernfahrt am Donnerstag, die trotz einer kurzen Stromleitungspanne in der Vaucluse binnen 2 Stunden und 58 Minuten von Paris nach Marseille führte, erklärte SNCF-Chef, Louis Gallois, er wolle mit der neuen Strecke sechs Millionen Benutzer pro Jahr hinzugewinnen. Die Preise sollen den TGV zusätzlich attraktiv machen. Vorerst steigen sie nur um 1,50 Euro (zweite Klasse) und 6 Euro für die einfache Fahrt von Paris nach Marseille.

Weder Auto, das die Strecke Paris – Marseille im günstigsten Fall in sechs Stunden bewältigt, noch Flugzeug können einer derartigen Konkurrenz standhalten. Das haben auch die Erfahrungen mit anderen Hochgeschwindigkeitsstrecken gezeigt. Der Zug ist einfach schneller.

Ab morgen gibt es in Frankreich insgesamt 1.500 TGV-Kilometer. Im nächsten Schritt ist eine Hochgeschwindigkeitsverbindung nach Italien geplant, eine andere nach Spanien, wo bereits mehrere Strecken von dem AVE-Zug – wie der TGV ebenfalls von Alstom gebaut – verkehren. Auch der französische Osten – Straßburg und Mülhausen – soll in den nächsten Jahren angebunden werden. Die deutschen Großstädte bleiben in großer Zeitferne. Die Betreiber der Bahn AG haben kein gesteigertes Interesse an einer Zusammenarbeit mit Frankreich – sie versuchen die eigenen Hochgeschwindigkeitszüge weltweit zu verkaufen – ICE und Transrapid.