Schlachtfest nach Blairs Sieg

Maul- und Klauenseuche wurde heruntergespielt im Wahlkampf. Bald brennen wieder die Scheiterhaufen. Der Tierbestand wird um ein Viertel gesenkt

von RALF SOTSCHECK

Tony Blair hat seine Wahl gewonnen, das Schlachtfest in der englischen Countryside kann wieder beginnen. In den vergangenen Wochen war es in Britannien ruhig geworden um die Maul- und Klauenseuche. Die Labour-Regierung wollte sich den schönen Wahlkampf nicht durch brennende Tierscheiterhaufen verderben lassen.

Roy Anderson vom Imperial College hatte Ende April vorausgesagt, dass die Zahl der neuen Fälle just am 7. Juni, dem Wahltag, auf Null fallen würde. Er hatte das im Auftrag der Regierung mit Hilfe eines selbst entwickelten Computerprogramms herausgefunden. Seinen Hang zu regierungsfreundlichen Prognosen hatte Anderson bereits 1987 unter Beweis gestellt. Damals berechnete er für die norwegische Premierministerin Gro Harlem Brundtland, dass die Norweger 200 Wale pro Jahr im Nordostatlantik töten könnten, ohne den Bestand zu gefährden. Die Internationale Walkommission hatte zuvor ein Moratorium verhängt, und Brundtland befürchtete, das könnte sie Stimmen in den Walfanggemeinden kosten. Die hatten verlangt, 200 Wale im Jahr fangen zu dürfen. Die Kommission ließ sich von Andersons Bericht nicht beeindrucken und verwies auf „grundlegende Fehler der Berechnungsmethode“.

Auch bei der Maul- und Klauenseuche las Anderson seinem Auftraggeber den Wunsch von den Lippen ab und fälschte die Parameter, um das gewünschte Resultat zu erzielen. Von der Realität war das weit entfernt. Nächste Woche werden die Massentötungen wieder aufgenommen. In den vergangenen drei Wochen hatte man sie von 45.000 Tieren auf 15.000 pro Tag heruntergefahren, damit die hässlichen Scheiterhaufen keine Stimmenverluste verursachen. Doch ab Ende nächster Woche werden sie wieder brennen. In Devon hat das Landwirtschaftsministerium bereits 300 Tiertransporter umspritzen lassen, um das Wappen der Behörde zu verdecken. In Südwales, Lincolnshire und Nord-Yorkshire hat das Ministerium ab nächster Woche ganze Hotels für die Beamten gemietet, die das Tötungsprogramm durchführen.

Die Zahl der neuen Erkrankungen hat am vorigen Wochenende wieder den Stand von Mitte April erreicht. Inzwischen sind Gegenden betroffen, in denen es bisher noch keine Fälle gab. Offiziell sind insgesamt knapp 2.000 Höfe infiziert, 3,2 Millionen Tiere wurden getötet. Die wahren Zahlen dürften jedoch noch wesentlich höher liegen. Mehr als 6.000 Höfe in der Nachbarschaft infizierter Höfe, auf denen die Tiere als Vorsichtsmaßnahme getötet wurden, zählen in der Statistik nicht mit, obwohl bei vielen die Seuche bereits grassierte. Und die getöteten Lämmer, Kälber und Ferkel, die noch nicht registriert waren, fließen ebenfalls nicht in die Statistik ein, sodass die Gesamtzahl eher bei fünf bis sechs Millionen getöteter Tiere liegt.

Der Mikrobiologe Harash Narang, der in Newcastle im Norden Englands bei den Wahlen am Donnerstag erfolglos gegen den Landwirtschaftsminister Nick Brown angetreten ist, glaubt die offizielle Version nicht, nach der die Seuche zuerst am 20. Februar auf einer Schweinefarm in Heddon-on-the Wall aufgetreten ist. Der Besitzer, Bobby Waugh, soll angeklagt werden, weil er die Behörden nicht informiert habe. „Waugh soll zum Sündenbock gemacht werden“, sagt Narang. Tatsächlich sei die Seuche bereits Ende vorigen Jahres ausgebrochen. Hinweise gibt es genug. So hat die britische Regierung bereits im November Eisenbahnbohlen für die Scheiterhaufen bestellt. Nick Brown empfahl den Bauern Anfang Januar, sich gegen Maul- und Klauenseuche zu versichern. Und schon Ende Januar wurden rund 30 Schafe nach Frankreich exportiert, von denen mindestens zehn infiziert waren.

Narang glaubt, die Seuche habe ihren Ursprung in einer Versuchsfarm der Regierung bei Newcastle. „Dort hat man mit Impfstoff experimentiert“, sagt er. „Aber bei einem aktiven Impfstoff, im Gegensatz zum synthetischen, scheiden die Tiere den Erreger aus. Er verbreitet sich ähnlich wie Polio durch schmutziges Wasser. So könnte er von der Farm durch Regen ins Tal gespült und in den Fluss Tyne gelangt sein. Von dort hat er sich in Windeseile weiter verbreitet.“

Dass die Regierung nicht auf Impfungen, sondern auf Massentötungen setzt, hat offenbar seine Gründe: Die Bauern, die ihre Schafherden verloren haben, dürfen nur eine geringere Stückzahl neu anschaffen. Darauf hat sich die britische Regierung mit dem Bauernverband und der Europäischen Union geeinigt, damit der Tierbestand um 20 bis 30 Prozent gesenkt wird.