Von Hexen und Herrschern

Musik an der Grenze zur Musik: Das Festival „Musik für den Blick nach draußen“

Früher konnte man das musikalische Innen und das musikalische Außen leicht voneinander unterscheiden. Innen waren das Material, die Themen und ihre Durchführung. Das Außen erkannte man in Beiwerk und Fassade, im Ornament und im Effekt. In dem Maße aber, in dem Komponisten ihre Werke nicht länger als aufrichtig beredten Ausdruck verstanden wissen wollten, mussten auch Kategorien wie Innen und Außen an Schlagkraft verlieren.

Den Klangobjekten des Fluxus, der Konzept- und Performancekunst oder vielen Werken von John Cage fehlt schlicht alles, was man zum Innen hätte erklären können. Und sofern in dieser Musik – ästhetisch zweifellos fragwürdige – Verinnerlichungsstrategien zum Zuge kommen, kann von einem echten Außen auch nicht länger die Rede sein.

Wenn das Ensemble Zwischentöne derzeit also ein Festival mit „Musik für den Blick nach draußen“ mobilisiert, wird nicht nur eine verblichene Kategorie reaktiviert. Denn das „Draußen“ will eben auch inhaltlich neu besetzt werden. Eine nahe liegende und wohl auch gültige Begriffsbestimmung könnte jetzt schlicht auf „Randbereiche der Gattungstradition“ plädieren – Musik an der Grenze zur Musik. Denn das Ensemble Zwischentöne hat Musiker und Künstler um Stücke gebeten, die meist auf den vermittelnden Schritt einer Partitur verzichten und denen die Arbeit mit Ausführenden insgesamt fremd ist.

Der Klanginstallateur Rolf Julius schickte dem Ensemble eine CD mit der Bitte um eine den Tonträger imitierende und begleitende Improvisation. Instrumentenbauer Akio Suzuki ließ, von wortkargen Spielanweisungen begleitet, seine selbst gebauten Tonwerkzeuge anliefern: in Beton gegossene Bambussplitter oder kantige Bambusflöten, mit geringem Aktionsradius – naturnahes, entkultiviertes und vermeintlich defizientes Spielgerät, „Instrumente, die schlecht gehen“, wie es Ensembleleiter und Festivalinitiator Peter Ablinger lakonisch und begeistert auf den Punkt brachte.

Der Berliner Neo-Elektroniker Zeitblom hingegen erschien in persona, probewütig mit einem Laptop und einem liveelektronischen Konzept unter der Schädeldecke, ging damit aber Freitagabend richtiggehend baden. Zwar hatte der durch Fred Frith und John Zorn geschulte Musiker einen wohlfeilen Entwurf zur Hand, der das improvisierte Material ordnete und liveelektronisch fortwebte. Er übersah aber dabei, dass Klänge von sich aus keine Spannung erzeugen, sondern dass jedes Inter-Esse unter den Klängen gesetzt werden will.

Ganz anders das Performancestück „Silver Streetcar for the Orchestra“ für Triangel von Alvin Lucier. Etwa zehn Minuten lang drosch der Schlagzeuger rapide die Triangel – Tempo, Dämpfung und Anschlag immer leicht modifizierend. Fast aus dem Nichts entstand dabei ein fiepsender Liegeklang, indem sich die raschen, harten Schläge im resonierenden Aktionsraum des Hamburger Bahnhofs schichteten. Dieser Klang gab dem „Blick nach draußen“ eine weiteren Dreh, hin auf ein verdrängtes und verbotenes Draußen, das Hans-Peter Dürr in seinem Buch „Traumzeit“ für verschüttet erklärte. Ein Draußen jenseits des Zauns, auf dem einst die Hexe als Hüterin der Schwelle zur Wildnis saß und nun Alvin Lucier als Herrscher über die Magie der Klänge thront. BJÖRN GOTTSTEIN

Am Do., 14. 6., 20 Uhr: Akio Suzukis „Study Time“ mit dem Ensemble Zwischentöne im Hamburger Bahnhof