Zwerge in der zweiten Liga

Der SV Babelsberg 03 ist am Ziel aller Träume: Nach einem 1:0 gegen Fortuna Düsseldorf belegen die Potsdamer Platz zwei der Regionalliga Nord. Und das bedeutet den Aufstieg in die zweite Liga. Torschütze: Martino Gatti

Als die Sensation vollbracht war, kultivierten sie wieder ihr Image. „Steht auf, wenn ihr Zwerge seid“, sangen die Fans. Die Spieler streiften sich bedruckte Hemden über: „Babelszwerge ganz groß – jetzt auch in der zweiten Liga.“ Der SV Babelsberg 03 am Ziel aller Träume: Platz zwei in der Regionalliga Nord bedeutet den Aufstieg für die Potsdamer. Mit bescheidenen 4,3 Millionen Mark Etat düpierte der kleine, nur 520 Mitglieder zählende Klub die Konkurrenz. Es hätte wohl keinen besseren Gegner zum Finale geben können als Fortuna Düsseldorf: Prominent, traditionsreich, vorab mit einem doppelt so hohen Budget ausgestattet, das auch noch um 2,1 Millionen Mark überzogen wurde. Aber auch dieser vermeintliche Riese war dem Zwerg nicht gewachsen. Eine ganze Saison lang und auch am Samstag nicht: 1:0 siegte Babelsberg, das Tor von Martino Gatti in der 87. Minute besiegelte auch die Viertklassigkeit der Fortuna, die zu jenen Klubs zählt, die wegen ausbleibender Millionen der „Sportwelt“ vor dem Aus stehen. Grund genug für Babelsbergs Präsidenten Detlef Kaminski, der den Begriff „Babelszwerg“ oft benutzt hat, grundsätzlich zu werden: „Man muss nicht mit Millionen um sich schmeißen, um den Aufstieg zu schaffen – das ist unsere Botschaft an alle im Land.“

Beim SV Hollywood läuft das alles ein wenig anders. Von der nur einen Steinwurf entfernt ansässigen, finanzstarken Film- und Fernsehindustrie bisher ignoriert, sammelte Trainer Herman Andreev beim „Abstiegskandidaten Nummer eins“ (Kapitän Almedin Civa) ausgemusterte Spieler und Talente um sich. „Er hat einen Haufen Rohdiamanten gekriegt und Edelsteine geschaffen“, so Kaminski. Einer, Marco Küntzel, wurde von den Fans mit Geschenken verabschiedet. So gerührt war er, dass er nichts sagen konnte: „Sonst muss ich weinen.“ Er stürmt künftig für Borussia Mönchengladbach in Liga eins, alle anderen bleiben beisammen. Sieht man vom ehemaligen Rostocker Heiko März ab, der mit 35 Jahren seine Laufbahn beendet und als Einziger ein wenig traurig schaute, als seine Kollegen in der mit Sekt regelrecht überfluteten Kabine Freudentänze aufführten.

In Babelsberg haben sie bisher weder über Verträge für die zweite Liga geredet, noch über die Höhe der Aufstiegsprämien für die einzelnen Spieler. Die Rede ist von einer Viertelmillion Mark für die ganze Mannschaft. Auch die ausstehenden Gehälter, der Verein ist mit der Zahlung sechs Wochen in Rückstand, können nun beglichen werden. Babelsberg plant weiter solide: Neun Millionen Mark Etat können im Idealfall vollständig aus Fernseheinnahmen bestritten werden. „Wir bleiben der Familienklub, ohne Stinkstiefel und Abzocker“, sagte Kaminski, der als einzigen bekannteren Profi bisher nur Vladan Milovanovic (ehemals Hannover 96, jetzt Austria Lustenau) verpflichtet hat, ansonsten nur „hungrige Talente“. Alle schwärmen beim 1903 als SC Jugendkraft Nowawes gegründeten Verein, zu DDR-Zeiten nicht mehr als ein Fahrstuhlensemble und nach der Wende noch Bezirksligist, vom Teamgeist.

Großen Anteil daran hat Herman Andreev. „Er schreit so gut wie nie“, sagt Martino Gatti, der vor sieben Jahren bei St. Pauli schon Zweitligaluft schnupperte. „Das macht ihn so glaubwürdig.“ Andreev hat das Babelsberger Kurzpassspiel mit wenigen Ballkontakten geprägt. Eine Augenweide und so gar nicht drittklassig. Andreev ist erst 35 Jahre alt und wollte deshalb „nicht als Vater des Erfolgs“ bezeichnet werden, sondern „höchstens als Bruder“. Der bescheidene Übungsleiter, der einst die Fußballschule von Spartak Moskau durchlief und zuletzt von mehreren Vereinen aus der zweiten Liga umworben wurde, hat nun das Problem, dass sein in sechs Jahren Studium in Russland erworbenes Trainerdiplom keine Anerkennung beim DFB findet. Das ärgert Kaminski, „weil der Herman mehr Fußballsachverstand im kleinen Zeh hat als manch einer der Nationalspieler, die den Schein in einem Zwei-Wochen-Lehrgang hinterher geschmissen kriegen“. Nun versuchen die Babelsberger, Andreev just im nächsten derartigen, zweiwöchigen Fußball-Lehrer-Kurs unter zu bringen, weil die A-Lizenz von Assistenztrainer Ingo Nachtigall nur zu einer Saison zweite Liga berechtigt. Auch die Stadt Potsdam will ihren Beitrag leisten, das Stadion und die Infrastruktur ausbauen – trotz des Widerstand der Anwohner, die sich in einer Initiative mit Flugblättern wehren, weil ihnen „ein Polizeiaufgebot wie beim Castor-Transport“ ebenso ein Gräuel ist wie „austretende Fans“ im benachbarten Schlosspark, „der zum Weltkulturerbe zählt“.

Herman Andreev sagte nach dem Aufstieg demonstrativ, „die ganze Stadt kann stolz sein auf ihren Verein. Ganz Deutschland blickt nach Potsdam.“ Monatelang erfuhr er oft erst kurz vor dem Training, auf welchem Platz irgendwo in der Stadt er mit seinen Spielern üben darf. Vor den entscheidenden Partien um den Aufstieg fanden auf dem Stadionplatz gar Dreharbeiten für eine Serie statt, der Regisseur hat die Spieler sogar vertrieben. Die Zwerge wurden kleingehalten im eigenen Haus. Jetzt aber hat der SV Babelsberg 03 seine eigene Traumfabrik. MATTHIAS WOLF