wowereit ist schwul
: Der doppelte Befreiungsschlag

Seit gestern ist in der Hauptstadt alles anders. Mit dem Bekenntnis zu seiner Homosexualität hat Klaus Wowereit einen Schritt unternommen, wie er offensiver nicht sein könnte. Der SPD-Politiker tritt als erster offen schwuler Kandidat in Deutschland für ein Regierungsamt an. Für ihn selbst, die SPD und für die politische Kultur in Berlin ist das ein Befreiungsschlag.

Kommentar von UWE RADA

Wowereits Outing ist selbst in Europa einzigartig. Außer dem Pariser Bürgermeister Betrand Delanoë und dem britischen Labour-Strategen Peter Mandelson hat sich noch kein europäischer, geschweige denn ein deutscher Spitzenpolitiker zu seinem Schwulsein bekannt. Auch das könnte nun anders werden. Sollte sich bei den nächsten Umfragen herausstellen, dass ein schwuler Politiker auch Sympathiepunkte sammelt, dürften demnächst die Sendeplätze in den Talkshows gebucht werden. Aus der Berliner könnte dann schnell eine rosa Republik werden.

Doch das stand bei Klaus Wowereit wohl nicht im Vordergrund, als er den Delegierten des SPD-Parteitags gestern erklärte: „Ich bin schwul, und das ist auch gut so.“ Angeblich, so heißt es, sei er einem Outing durch die Medien zuvorgekommen. Doch in Wirklichkeit ist sein Bekentnis ein mehrfacher Schritt in die Offensive. Bislang noch weitgehend unbekannt, wird Wowereit über Nacht populär, und nicht einmal mehr die Bundes-SPD wird sich trauen, laut über Alternativen zum Spitzenkandidaten Wowereit nachzudenken.

Vor allem aber ist es ein Befreiungsschlag gegen den Frontstadtwahlkampf. Gerade erst hat die Springer-Presse ihre Rotationsmaschinen mit Schlagzeilen aus der Mottenkiste des Kalten Krieges anlaufen lassen, da geht’s schon wieder andersrum. Nicht mehr eine mögliche Regierungsbeteiligung der PDS wird nun die Schlagzeilen bestimmen, sondern die Frage: Kann ein Schwuler Regierungschef werden?

Er kann, seit gestern noch mehr als zuvor. Sollten die CDU und die Springer-Presse tatsächlich eine Schlammschlacht um die Homosexualität des SPD-Kandidaten beginnen, würde ihnen das umgehend auf die Füße fallen. Wowereits Outing bliebe dann nicht das erste in Berlin.

Auf der anderen Seite kann Wowereit nun das liberale, weltoffene Berlin mobilisieren. Nicht nur der CSD wird ihm zu Füßen liegen, er wird auch Wählerschichten und Milieus ansprechen, die sich bislang kaum mehr von der Politik und schon gar nicht von der großen Koalition repräsentiert fühlten.

Hinter den gestrigen Tag wird weder die SPD noch die Stadt zurückkönnen. Ob Berlin tatsächlich eine Metropole ist oder eine miefige Frontstadt, wird sich in den nächsten Wochen endgültig zeigen. Wowereit sei Dank.