Nordirland verdirbt Blair die Feier

Bei den britischen Unterhauswahlen bauen die Gegner des Belfaster Abkommens ihre Position aus. Damit steht der Friedensprozess wieder einmal auf der Kippe. Tony Blair kommentiert das Ergebnis nicht, sondern bildet erst sein Kabinett um

aus Dublin RALF SOTSCHECK

Nordirland ist stärker polarisiert denn je. Bei den britischen Parlamentswahlen gewannen auf protestantischer Seite die Gegner des Belfaster Abkommens vom Karfreitag 1998, das der Krisenprovinz Frieden bringen soll, während auf katholischer Seite die IRA-Partei Sinn Féin stark zulegen konnte. Im Gegensatz zum übrigen Vereinigten Königreich, wo die Wahlbeteiligung bei 59 Prozent lag, gingen in Nordirland mehr als 68 Prozent der Wähler an die Urne.

Die Abkommensgegner hatten das Votum im Wahlkampf zur Abstimmung über den Friedensprozess gemacht. Und sie waren damit sehr erfolgreich. Zwar blieb die Ulster Unionist Party (UUP) des nordirischen Premierministers David Trimble mit sechs Sitzen stärkste Partei, doch bisher hatte sie neun Unterhausmandate. Hinzu kommt, dass zwei der neuen Abgeordneten das Belfaster Abkommen und ihren Parteichef, Nordirlands Premier David Trimble, zu Fall bringen wollen.

Die Democratic Unionist Party (DUP) des reaktionären Parrers Ian Paisley reklamierte denn auch einen moralischen Sieg für sich. Sie hatte bisher drei Unterhaussitze, nun sind es fünf. Selbst Gregory Campbell gewann in Derry, das er Londonderry nennt. „Es gibt einen Gott im Himmel“, sagte er nach seiner Wahl, „und die britische Regierung muss das Votum des Volkes verstehen. Mein Wahlkreis hat eine Botschaft an Blair und Trimble ausgesandt, und sie lautet: Wir geben nicht nach.“

Auf katholischer Seite ist die gemäßigte sozialdemokratische SDLP die Verliererin. Parteichef John Hume, der 1999 mit David Trimble den Friedensnobelpreis gewann, wurde zwar wiedergewählt, doch seine Partei verlor einen Sitz. Dennoch sagte Hume, Sinn Féin habe „absolut, total und vollständig keine Chance, die SDLP als Stimme der nordirischen Nationalisten“ zu überholen. In Wirklichkeit hat die IRA-Partei das getan. Sie kam auf 21,7 Prozent der Stimmen und gewann vier Sitze, die SDLP erreichte 20,9 Prozent und drei Sitze.

Völlig überraschend gewann auch Michelle Gildernew, die Sinn-Féin-Kandidatin, die der UUP den Sitz mit der hauchdünnen Mehrheit von 53 Stimmen abnehmen konnte. Nordirland hat seit Jahrzehnten keine Frau ins Unterhaus entsandt, nun sind es gleich drei: Neben Gildernew wurden auch Iris Robinson und Lady Sylvia Hermon gewählt. Robinson ist die Frau von Paisleys Stellvertreter Peter Robinson, der ebenfalls gewählt wurde. Sylvia Hermon ist eine der wenigen Trimble-Vertrauten.

Für Trimble wird es eng. Er wurde erst nach der zweiten Auszählung als Abgeordneter bestätigt, seine Partei ist wegen des Belfaster Abkommens gespalten. Er hat angekündigt, am 1. Juli als Premier zurückzutreten, falls die Irisch-Republikanische Armee (IRA) bis dahin nicht mit der Abrüstung begonnen hat. Außerdem muss er damit rechnen, dass die Abkommensgegner in seiner Partei versuchen werden, ihn aufgrund des schlechten Wahlergebnisses auf dem Parteitag Ende des Monats zu stürzen.

Die Regierungen in London und Dublin werden am kommenden Montag mit den nordirischen Parteien über die Zukunft Nordirlands beraten. Ian Paisley sagte, Blair würde sich des Faschismus schuldig machen, sollte er die DUP von den Verhandlungen ausschließen.

Sinn Féin hat in allen Wahlkreisen hinzugewonnen, Parteipräsident Gerry Adams wurde in Westbelfast mit der landesweit größten Mehrheit wiedergewählt, zwei Drittel der Wähler entschieden sich für ihn. Auch der Parteivorsitzende Pat Doherty, der dem IRA-Armeerat angehören soll, gewann mit deutlichem Vorsprung vor William Thompson von der UUP und der nordirischen Agrarministerin Brid Rogers von der SDLP. Sinn Féin sei auf dem besten Weg, die stärkste Partei in Nordirland zu werden, sagte Doherty.

Blair hat sich bisher nicht zu dem Wahlergebnis geäußert, aber gleich begonnen, sein Kabinett umzubilden. Die wichtigste personelle Veränderung gab es im Innenministerium, das der bisherige Bildungsminister David Blunkett übernommen hat. Der blinde Politiker gilt noch mehr als sein Vorgänger Jack Straw als Vertreter einer harten Linie, was die Kriminalität betrifft. Blair erwartet von ihm, dass er die Verbrechensrate bis zu den nächsten Wahlen spürbar senkt. Straw wird Außenminister im neuen Kabinett, während der bisherige Außenminister Robin Cook auf den Posten als Fraktionschef abgeschoben wird. John Prescott, der im Wahlkampf einen Wähler mit einem linken Haken zu Boden streckte, bleibt zwar Blairs Stellvertreter, aber seinen Job als Transportminister ist er los. Statt dessen wird er eine Art Kanzleramtschef.