Große begehbare Tiefkühlzellen

Eine bunte Expertenrunde erklärte am Sonntagabend interessierten Amateuren die Arbeit der Gerichtsmedizin. Bei den Ausführungen über Haarproben und Insektenanalyse zeigte das Publikum einen Anflug von Angstlust

Die Wurzeln der gerichtsmedizinischen Disziplin gehen auf das Jahr 1302 zurück. Damals ereignete sich in Bologna ein Aufsehen erregender Todesfall: Bei einem Festmahl war ein prominenter Gast schwarz angelaufen, dann tot von seinem Stuhl gefallen. Der Verdacht auf eine Vergiftung stand im Raum. Zur Ermittlung der genauen Todesursache wurde daraufhin zum ersten Mal offiziell die Genehmigung zur Öffnung einer Leiche erteilt.

Heute ist die forensische Medizin ein unverzichtbarer Gehilfe der Kriminalistik. Und um diese Wissenschaft auch für interessierte Amateure zu erhellen, hatten am Sonntagabend die Organisatoren der „Körperwelten“-Ausstellung eine Expertenrunde zum Thema „Wie arbeitet die Gerichtsmedizin?“ in ihr Foyer am Postbahnhof am Ostbahnhof eingeladen.

Auf dem Podium saßen eine Berliner Krimiautorin, ein Kriminalbiologe, der auch als Berater für das amerikanische FBI arbeitet, ein Spezialist für Spurenauswertung beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden sowie ein Rechtsmediziner aus Leipzig. Ihre nüchternen Ausführungen wurden vom Publikum nicht ohne Anflug von Angstlust verfolgt. Die Dialektik von Verbrechen einerseits und Arbeit mit totem Menschenmaterial andererseits waren es wohl, die bei den Zuhörern diesen angenehmen Schauder erzeugte.

Tatsächlich werden in Deutschland nach Schätzungen des Leipziger Rechtsmediziners Johann Kleemann nur die Hälfte aller Morde entdeckt. Denn der für den Totenschein zuständige Arzt stellt am Leichenfundort oft gar keine ungewöhnliche Todesursache fest. Der Schein wird ausgestellt und die Leiche zur Beerdigung freigegeben.

Eine gerichtsmedizinische Obduktion findet hingegen nur dann statt, wenn ein unnatürlicher Tod moniert wird. Und auch dann wird der Kriminalbiologe Marc Benecke nur in speziellen Fällen hinzugezogen. Benecke untersucht den Insektenbefall von Leichen. Schließlich kann die Art und die Wachstumsgeschwindigkeit von Maden Aufschluss über Zeitpunkt und Ort des Verbrechens geben. Bisweilen kann der Eintritt des Todes damit sogar auf wenige Stunden genau bestimmt werden.

Zum weitaus gewöhnlicheren kriminalistischen Alltag gehören dagegen mittlerweile DNA-Untersuchungen. Hier war Herrmann Schmitter vom Bundeskriminalamt der Fachmann. Er ist besonders durch die kürzlich erfolgte Analyse eines Haares im Fall Wolfgang Grams bekannt geworden. Und ebendiese Methode der genetischen Auswertung von Haarproben habe nun eine Welle neuerlichen Aufrollens bisher ungeklärter Verbrechen in Gang gesetzt, sagte Schmitter. Sie werde die Kriminalistik vorerst noch eine Weile beschäftigt halten. „Der Mord an Rohwedder ist ja auch noch nicht gelöst“, meinte er kämpferisch.

Dennoch können sich die Aufklärungsbemühungen der deutschen Behörden im internationalen Vergleich sehen lassen. Bei 90 Prozent von allen Mordfällen in Deutschland würden die Täter überführt, erklärte Rechtsmediziner Kleemann. Die USA stünden mit einer Aufklärungsrate von nur 50 Prozent weitaus schlechter da. Das liegt indes auch an äußeren Umständen. Leichen werden etwa in deutschen Wäldern sehr viel schneller entdeckt als in den flächenmäßig dünner besiedelten Vereinigten Staaten. Nicht zuletzt deswegen ist dort die Insektenanalyse am Leichnam auch weiter verbreitet als hierzulande.

Übrigens würden die Täter zu 75 Prozent aus dem direkten Umfeld der Opfer stammen, warnte Kleemann. Man solle sich also in Acht nehmen vor Verwandten und Freunden. Der unbekannte Mörder aus dem Dunklen sei eher eine Seltenheit. Vielmehr ereignen sich die meisten Tötungsdelikte ungeplant. Oft greifen die Täter plötzlich während einer Auseinandersetzung zum Messer. Mord als Methode könne man diesen Menschen nicht unterstellen.

Freilich gibt es auch die anderen Mörder: Die Täter, die zum Selbstzweck töten. Sie interessieren vor allem die Krimischriftstellerin Thea Dorn. „Denn jede Gesellschaft bringt auch pathologische Charaktere hervor“, sagte Dorn auf dem Podium. „Und die Analyse krankhafter Täter verrät sehr viel über die Funktionsweise unserer Gesellschaft.“ Thea Dorn versah diesen Schlusssatz mit einem sehr geheimnisvollen Lächeln.

Später fragte eine Frau noch, wie die Polizei all ihr gesammeltes Beweismaterial aufbewahre. Hermann Schmitter erzählte von großen begehbaren Tiefkühlzellen, in denen die Spuren eines Verbrechens bei minus 20 Grad eingefroren werden.

KIRSTEN KÜPPERS