: Agrarwende zu Ende?
Viel haben Schröder und Künast versprochen, wenig bisher gehalten: Die Industrialisierung der Landwirtschaft schreitet voran. Es profitieren die Großbetriebe
Die Maul- und Klauenseuche hat Deutschland nicht erreicht, und bei BSE blieb es bei weit weniger Fällen als befürchtet. Das Verbraucherverhalten normalisiert sich; die Krise ist anscheinend vorbei. Was aber geschieht mit der „Agrarwende“, die Schröder und Künast versprochen haben und die nur durch die Krise denkbar wurde? Vieles deutet darauf hin, dass der Reformeifer erlahmt. Zeit für eine erste Bilanz.
Erinnern wir uns an die markigen Vorgaben des Kanzlers: Er sprach von Agrarfabriken, von denen man weg müsse, umriss das Ziel mit Sätzen wie: „Die neue Landwirtschaftspolitik muss von der Ladentheke her gedacht werden.“ – „Wir wollen Lebensmittelsicherheit durch eine artgerechte und umweltschonende Landwirtschaft.“ Und: „Das muss sich auch in höheren Produktpreisen ausdrücken.“ Der Einfluss des Bauernverbandes werde sich verringern. Diese sehr klare und politische Sprache beruhigte alle, die nicht zum Bauernverband gehörten. Nicht einmal Futtermittelwerke, denen verbotenes Tiermehl in ihren Futtermischungen nachgewiesen wurde, hatten Konsequenzen zu befürchten. Bauernhöfe mit positiven BSE-Tests wurden öffentlich genannt. Die Futtermittelwerke hingegen durften anonym bleiben. Eine aussagekräftige Ungleichbehandlung.
Und der geschmähte Deutsche Bauernverband? Sein Präsident Sonnleitner hatte schwere Zeiten durchzustehen. Die Medien reagierten überaus kritisch; in zahllosen Talk-Shows war er der Angeklagte. Zur rettenden Vokabel wurde für ihn der Begriff der „gläsernen Produktion“. Alle Verfahrensschritte sollen in Zukunft dokumentiert, nachvollziehbar werden. Im Klartext: Die landwirtschaftliche Produktion soll – im Prinzip – weitergehen wie bisher, aber überprüfbar.
Und die Bauern und Bäuerinnen? Es gab eine immense Betroffenheit. Der Protest gegen den Bauernverband und seinen Präsidenten war in den ersten Wochen außerordentlich groß; auch die Futtermittelindustrie wurde heftig angegangen, nachdem immer neue Informationen aufdeckten, was alles in die Futtermittel eingemischt worden ist. Besonders die Verwendung von Fetten aus Fettschmelzen oder Kadaveranstalten löste Entsetzen aus. Anfangs war die Bereitschaft sehr groß, eine Agrarwende mitzudenken. Wollte man dies zur Unterstützung verstärken, wären symbolische Gesten und konkrete Maßnahmen notwendig gewesen.
So viel zum Bedingungsgefüge, in dem Renate Künast Ministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft wurde. Wie lässt sich die Struktur ihrer bisherigen Politik charakterisieren?
1. Der übernommene Regierungsapparat – über Jahrzehnte das Ergebnis der Personalpolitik von CDU- und FDP-Ministern, wurde nicht angetastet. Die Ministerin und die beiden zusätzlichen Staatssekretäre sind fachliche Seiteneinsteiger, ohne Erfahrung in der Agrarpolitik. Gerade beim Umgang mit BSE und den Verdachtsfällen der Maul- und Klauenseuche zeigte sich, wie sehr der alte Apparat fortwirkte. Künast wurde zur unerbittlichen Verfechterin einer Seuchenpolitik, die auf Massentötungen setzte. Es dauerte Monate, bis sie sich von dieser unanständigen Politik frei zu machen begann.
2. Die Ministerin übernahm ihr neues Amt zum Zeitpunkt einer sich zuspitzenden Krise, ohne sicherzustellen, dass der Finanzrahmen des Ministeriums erweitert wurde. Nun ist es natürlich nicht so, dass alles an einer Agrarwende staatliche Gelder erfordert, aber ohne zusätzliche Mittel müssen sich die Handlungsmöglichkeiten reduzieren. Diese selbst geschaffene ungünstige Ausgangsposition hatte erheblichen Anteil daran, dass sich Künast in ihrer ersten Auseinandersetzung mit EU-Agrarkommissar Fischler nicht dursetzen konnte. Es ging um das EU-„Sonderaufkaufprogramm für Rinder“. Weil sie kein Geld dafür hatte, musste Künast schließlich der Vernichtung des Fleisches zustimmen, um den Rindfleischmarkt zu entlasten.
3. Der Bundestag ermöglichte Künast einen hervorragenden Einstand. Ihre Regierungserklärung wurde bejubelt; auch die Oppositionsparteien stimmten weitgehend zu. Die Schwerpunkte der Änderungen, die sie ankündigte: Zwei neue Labels sollen den Verbrauchern ein qualitätsorientiertes Einkaufen ermöglichen (zum einen „Produkte aus ökologischem Anbau“ sowie „ökologische und regionalwirtschaftliche Mindeststandards“), Futtermittel sollen offen deklariert werden, die Finanzmittel der EU sollen vorrangig eingesetzt werden „für eine ökologische Landbewirtschaftung, artgerechtere Tierhaltung und die Sicherung von Arbeitsplätzen im ländlichen Raum“. Gelten soll „Regional ist erste Wahl“, angestrebt wird eine „Verschärfung der Nutztierhaltungsverordnung und der Tiertransportrichtlinie“. Ihren Schlussworten „Kälber saufen Milch“ und „Kühe fressen Gras, Rüben und Getreide“ kann man nur zustimmen. Ungesagt blieb aber, wie all das umgesetzt werden kann. Wie sollen die um 300 bis 400 Mark höheren Kosten für die Kälberaufzucht ausgeglichen und wie die erforderlichen höheren Milcherzeugerpreise realisiert werden?
Die Forderung nach einer Abkehr von einer industrialisierten Landwirtschaft und von Agrarfabriken wurde sowieso schnell fallen gelassen. Stattdessen wurde das „magische Sechseck“ aus Verbrauchern, Landwirten, Futtermittelindustrie, Lebensmittelindustrie, Einzelhandel und Politik erfunden.
Zugedeckt wurde dabei, dass die Agrarpolitik der letzten 40 Jahre vor allem auf den Lebensmitteleinzelhandel zugeschnitten worden ist. Inzwischen hat ein einziger Nahrungsmittelkonzern (Rewe) den gleichen Jahresumsatz wie die gesamte deutsche Landwirtschaft. Was achtzig Millionen Menschen essen, entscheiden weitgehend die Chefeinkäufer der großen Einzelhandelskonzerne. Eine freundliche Einbeziehung des Lebensmitteleinzelhandels in das „magische Sechseck“ hilft nicht weiter; schon vier Wochen nach der Regierungserklärung von Künast prognostizierte der Rewe-Chef Reischl, dass der Preiskampf bei Lebensmitteln weitergehe: „Wir befürchten, dass das Einzige, was wachsen wird, die Discountfläche ist.“
Nicht wirtschaftspolitische Maßnahmen sollen die Strukturen der Lebensmittelherstellung und des Preisgefüges verändern, sondern diese gigantischen Anstrengungen legen Künast und ihre Staatssekretäre allein auf die Schultern der „mündigen Verbraucher“. Doch so notwendig Hinweise auf die Wirkung bewusster Konsumentscheidungen sind, dauerhafte Strukturveränderungen sind dadurch allein nicht zu erreichen. Die gebetsmühlenartige Nennung des „mündigen Verbrauchers“ lenkt eher von der eigenen Unentschlossenheit ab. Außerdem: Die freundlichen Worte gegenüber den Lebensmittelkonzernen wurden genau registriert bei all den Handelsformen, die sich seit Jahren schon um eine „Agrarwende“ bemühen. Was es an Direktvermarktung, Regionalvermarktung, Biogroßhändlern, Erzeuger-Verbraucher-Zusammenschlüssen gibt, ist ja entstanden gegen die Großstrukturen im Lebensmitteleinzelhandel. Von denen war beim „magischen Sechseck“ aber nicht die Rede.
Gleichzeitig schreitet die Industrialisierung der Landwirtschaft voran, erfasst selbst die ökologischen Betriebe. Doch drei der vier Staatssekretäre von Künast scheinen darin kein Problem zu sehen: Ob kleine oder große Betriebe, das sei egal, es komme nur auf die Ökologie an. Künasts große Unsicherheit beim Strukturwandel zeigte sich, als EU-Agrarkommissar Fischler forderte, bei den Tierprämien wieder die Förderobergrenze von neunzig Bullen einzuführen, diesmal ohne Ausnahme für die neuen Bundesländer. Es gab bereits einen hohen Diskussionsstand und eine „grüne“ Antwort auf das Problem, dass die alten und neuen Bundesländer unterschiedliche Agrarstrukturen aufweisen: Die real beschäftigten Arbeitskräfte sollten bei der Obergrenze der Tierprämien berücksichtigt werden. Doch stattdessen lehnte Künast pauschal eine „Belastung der ostdeutschen Bundesländer“ ab.
Die fehlende Bereitschaft, sich mit dem Strukturwandel, mit dem Verhältnis von Betriebsgröße und Umweltbelastungen auseinander zu setzen, zeigte sich schließlich überdeutlich bei der „Modulation“ von Flächen- und Tierprämien. Die EU erlaubt es mit der Agenda 2000, dass ihre Mitgliedstaaten die Prämien nach Betriebsgröße und Umweltwirkung staffeln. Künast lehnte eine Differenzierung zu Gunsten kleinerer Betriebe und ökologisch vorteilhafter Produktionsweisen anfangs kategorisch ab, weil sich sonst vor allem die flächenstarken Großbetriebe heftig zur Wehr gesetzt hätten. Auch nach inzwischen monatelanger Diskussion gibt es hier keine Entscheidung, obwohl gerade diese Frage einen hohen Symbolwert hat für die Bauern und Bäuerinnen, die eine Agrarwende wollen.
Die bisher erkennbaren Umrisse der Agrarpolitik des neuen/alten Ministeriums laufen auf eine Ökologisierung der industrialisierten Landwirtschaft hinaus – nicht aber auf eine Abwendung von ihr. ONNO POPPINGA
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