„Wir haben keine Angst vor Resultaten“

Hamburger Kunsthalle richtet Stelle für Forschung über Nazi-Raubkunst ein  ■ Von Petra Schellen

Warum sich die Kunsthalle erst jetzt mit der Rückgabe von Nazi-Raubkunst beschäftigt? Ob das Hamburger Kunstgewerbemuseum auch mitziehen wird? Kunsthallen-Direktor Uwe Schneede bleibt stoisch. Weiß er nicht, „müssen Sie die Kollegen selber fragen“. Auch woher das Geld für die eventuelle Rückgabe wertvoller Kunstwerke kommen soll und ob die auf anderthalb Jahre befristete Wissen-schaftsstelle dereinst verlängert wird, sagt er nicht. Nach Ende der Provenienzforschung eine Dokumentation erstellen? Dem Direktor entfährt kein Wort.

Ist jetzt aber auch alles nicht so wichtig für die Hamburger Kunsthalle, will sie sich doch erstmal der aktuellen Forschung widmen: Seit Oktober vorigen Jahres befasst sich die Kunsthistorikerin Ute Haug systematisch mit der Herkunft der Kunsthallen-Bestände, um eventuell durch die Nazis geraubtes ehemals jüdisches Eigentum ausfindig zu machen. Als eins von bundesweit bislang nur fünf Museen hat die Hamburger Kunsthalle – neben den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und dem Lenbachhaus in München, der Dresdner Gemäldesammlung, der Stuttgarter Staatsgalerie und dem Wallraf-Richartz-Museum in Köln – auf die Washingtoner Konferenz vom 3. Dezember 1998 reagiert, deren Schlussdokument auch Deutschland unterzeichnete: Einen Kodex für den Umgang mit „Kunstwerken, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt und in der Folge nicht zurückerstattet wurden“, legen die zahlreichen Unterzeichner darin fest. Ein Jahr später folgte die Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz, das Museen, Archive und Bibliotheken zu verstärken Aufklärungsbemühungen auffordert.

Insgesamt 830 Gemälde, die vor 1933 gemalt wurden und zwischen 1933 und heute angekauft wurden, harren allein in der hiesigen Kunsthalle der Aufklärung; für 60 von ihnen hat Ute Haug den lückenlosen Nachweis legitimer Herkunft schon geführt.

760 bleiben – und mit ihnen aufwendige Recherchen, die nicht nur Akribie, sondern auch Geduld erfordern: „Der erste Blick geht natürlich ins hauseigene Inventarbuch; anschließend befrage ich Datenbank und Meldekarte, die mitteilt, in welchen Sammlungen das Bild früher hing“, sagt Ute Haug. Aber der Name der Sammlung genügt oft nicht; für die Recherche interessanter ist das exakte Datum des Besitzerwechsels – eben jenes „missing link“, das oft so schwer zu finden ist.

Anfragen an Galerien, Sammlungen und Archive sind Hauptbestandteile ihrer Tätigkeit – eine Tatsache, die oft beträchliche Verzögerungen bringt, wenn Antworten nur schleppend kommen oder ganz ausbleiben. Ob es schwarze Schafe, also notorisch nicht auf Provenienzanfragen reagierende Galerien oder Sammlungen, gibt? „Ja, und die sind in Museumskreisen natürlich bekannt“, sagt Haug. Nennen möchten sie sie aber nicht, denn „es ist sinnvoller, trotzdem den Konsens zu versuchen, anstatt sie bloßzustellen“.

Ohnehin müsse sie bei ihrer Arbeit höchst diplomatisch vorgehen. Provenienzforschung sei in Deutschland ein heikles Thema, sagt die Kunsthistorikerin, die über die Rolle des Kölnischen Kunstvereins im Nationalsozialismus promovierte und später in der Stiftung Museum Schloss Moyland am Niederrhein tätig war. „Kunstsammlungen in den USA betreiben diesen Forschungszweig schon viel professioneller“, sagt auch Schneede, der von konkreten Anfragen an die Hamburger Kunsthalle nichts zu berichten weiß, aber auch nicht warten will, „bis sich die Erben bei uns melden“.

Doch selbst wenn aufgrund der Forschungsergebnisse irgendwann Kontakte hergestellt werden können: Leicht gestalten sich, das zeigen laut Schneede Erfahrungen anderer Häuser, die folgenden Verhandlungen nicht: „Es genügt nicht, wenn jemand sagt, er hätte das Bild früher in der Wohnung seiner Großeltern gesehen. Er muss schon konkretere Nachweise bringen. Darauf müssen wir bestehen, denn es gibt – wie jüngst in Süddeutschland – auch in diesem Bereich Trittbrettfahrer.“

Leider, denn dies wird dazu führen, dass die Bilder von Bildern mit unklarer Herkunftsgeschichte, die Ute Haug auf eine noch einzurichtende Homepage stellen will, nur mit spärlichen Informationen ausgestattet werden können.

Wie die Kunsthalle allerdings mit Werken zu verfahren gedenkt, die rechtmäßig eingefordert werden, weiß Schneede noch nicht. „Von der Rückgabe bis zu Ankauf oder Tausch ist vieles denkbar. Jeder Fall ist anders; da müssen wir uns was einfallen lassen.“ Das wird auch nötig sein, denn dass die Erben wertvolle Gemälde zum Nulltarif an die Kunsthalle weitergeben, ist nicht zu erwarten. Üppig sprudelnde Finanzquellen für eventuelle Rückkäufe sind auch nicht in Sicht. Doch auch da werde man schon Lösungen, vielleicht Sponsoren finden, tönt es sphingen-gleich aus dem Unger-Bau. „Wir stecken ja noch in den Anfängen – und wir haben keine Angst vor den Resultaten unserer Arbeit.“

Und nicht die Absicht, die Forschungen gleich wieder im Sande verlaufen zu lassen – ein dezenter Hinweis darauf, dass an eine Verlängerung der wissenschaftlichen Stelle durchaus gedacht ist. Denn mit der Durchforstung der Gemälde ist es nicht getan: Rund 100.000 Blätter warten im Kupferstichkabinett auf Aufklärung; dazu kommen Skulpturen und die Münzsammlung, deren Herkunft der akribischen Bearbeitung harrt.