Özdemir bewirbt sich taktvoll

Die Berliner Grünen könnten für den Wahlkampf einen Bundespromi gut gebrauchen, meint Parteichef Fritz Kuhn. Doch Cem Özdemir, der bekannteste Deutsch-Türke der Republik, weiß, dass er sich sein Interesse nicht zu sehr anmerken lassen darf

von JENS KÖNIG
und PATRIK SCHWARZ

Sitzungsfreie Woche, der Reichstag ist verwaist, draußen regnet es. Cem Özdemir hat beste Laune – und beide Hände vor dem Mund verschränkt. Ich sag nix, soll das heißen. Und dann spricht er doch. So macht man das, wenn man in der Politik weiter aufsteigen will.

Der grüne Bundestagsabgeordnete ist für einen heiklen Job im Gespräch: Er soll prominente Frontfigur für den grünen Wahlkampf in der Hauptstadt werden. Seit Michaele Schreyer EU-Kommissarin wurde und Renate Künast erst Parteichefin, dann Ministerin, ist es um das politische Restpersonal der Landespartei nicht zum Besten bestellt. Trotzdem kann Özdemir, der bekannteste Deutsch-Türke der Republik, nicht sicher sein, ob ihn der Landesverband tatsächlich will.

Zum einen wohnt der Schwabe erst seit dem Umzug des Bundestags in Berlin. Zum anderen lockt in der Stadt ein Wahlsieg und da würden auch lokale Größen gerne Senator werden, namentlich der Fraktionsvorsitzende Wolfgang Wieland. Özdemir macht ihm schon mal Komplimente, nennt ihn „einen der kompetentesten Polizeiexperten“. So was kann nie schaden.

Parteichef Fritz Kuhn versucht derzeit, Brücken zu bauen. „Wir fänden eine bundesweit anerkannte Persönlichkeit auf der Berliner Liste gut“, sagt Kuhn der taz, „aber nur im Team mit den Berliner Grünen.“ Hans-Christian Ströbele dagegen, der linke Bundestagsabgeordnete aus Berlin und einflussreiche Strippenzieher im Landesverband, will davon nichts wissen: „Die Berliner Grünen können auf ihre eigenen Kräfte vertrauen.“ Exgesundheitsministerin Andrea Fischer, obwohl Berlinerin, hat gerade erlebt, wie tückisch es ist, als Bundespromi gehandelt zu werden. Ihr Name war so halbherzig ins Gespräch gekommen, dass sie gleich wieder abwinkte.

Das soll Özdemir nicht passieren. Seine Position als innenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion würde er wohl nur aufgeben, wenn die Berliner Parteifreunde ihn laut rufen. Damit sie merken, wie laut sie rufen müssen, treibt er erst mal den Preis für seinen Wechsel nach oben. „Ich betrachte es als eine Auszeichnung, Abgeordneter sein zu dürfen“, sagt Özdemir, „wer hat schon das Glück, sein Hobby zum Beruf machen zu können?“ Doch was er über Berlin sagt, klingt schon wie ein Wahlkampfkonzept mit Modellcharakter für den Rest der Republik: Es gehe für die Grünen darum, „diese Stadt zu begeistern“, sagt er, „das ist unsere Chance, zu zeigen, dass die Grünen die Metropolen-Partei sind“.

Unbedingt will der Schwabe den Eindruck vermeiden, auf Berlin zu schielen, weil er es 2002 nicht wieder in den Bundestag schaffen könnte. In Baden-Württemberg drängen sich mit Kuhn, Schlauch, Metzger und eben Özdemir vier Schwergewichte um drei halbwegs sichere Männer-Plätze. Özdemir aber weiß: Wenn überhaupt wollen die Berliner Grünen nur ein Zugpferd, keinen alten Gaul auf der Suche nach einem Gnadenbrot. „Das Problem Landesliste sehe ich sehr gelassen“, sagt er darum. Wann immer die baden-württembergischen Grünen eine Mann zu nominieren hatten, landete der Türke mit dem Talkshow-Appeal ganz vorne.

Und in Berlin, tritt er an? Der Schwabe grinst: „Die Wege des Herren sind unergründlich.“ Für die Hoffnungen des Herrn Özdemir gilt das nicht unbedingt.