Der Mensch ist keine Ware“

Interview BERNHARD PÖTTER

taz: Herr Kock, heute beginnt der Kirchentag, aber Unterschiede zwischen Protestanten und Katholiken sind nach außen kaum noch erkennbar. Wirtschaftsunternehmen denken in so einer Situation über eine Verschmelzung nach. Sollten katholische und evangelische Kirche auch fusionieren?

Manfred Kock: Viele Menschen sagen, wir haben einen Herrgott und alles andere ist egal. Aber in den Gemeinden gibt es ein sehr starkes Empfinden, dass es außer der unterschiedlichen Kirchenstruktur auch unterschiedliche Frömmigkeitsformen gibt. Protestanten gewöhnen sich nicht so leicht an Weihrauch und glänzende Roben und den triumphalen römischen Ritus. Und umgekehrt sehen Katholiken unsere herbe, nüchterene Art mit den schwarzen „Fräcken“ nicht als Idealbild an.

Niemand versteht, dass es kein gemeinsames Abendmahl gibt.

Zumindest nicht gemeinsam und offiziell. Die katholische Kirche sagt, sie ist noch nicht so weit. Wir sagen, es gehört zum ökumenischen Stil, dass man das respektiert.

Inzwischen können sich ja auch Protestanten den Papst als obersten Repräsentaten der Christen vorstellen.

Das Papstamt findet sich nicht in der Heiligen Schrift. Wir lassen uns nicht in eine Kirche hineinvereinen, die das als ihre Glaubensvoraussetzung hat. Den Papst zum allgemeinen Oberhaupt der Christen zu machen, ist eine theoretische Erwägung. Aber die katholische Kirche wird den Papst dafür auch nicht benutzen lassen.

Aber er spricht die Menschen mit all seinem Pomp an. Könnten Sie davon nicht profitieren?

Ich kann mir vorstellen, dass es einen gemeinsamen Repräsentanten der Christenheit gibt. Aber es muss auch möglich sein, dass dies ein nichtkatholischer Christ ist.

Oder eine Frau.

Ja, vielleicht auch eine Frau. Wir hätten da gutes Personal anzubieten.

Ein Thema wird auch den Kirchentag prägen: Die Debatte um die Gentechnik. Hat sich die Kirche diese Debatte von Politik, Wirtschaft und Forschung aufdrücken lassen?

Nein. Die Kirchen führen diese Debatte seit Jahren und wir nutzen jetzt die Gunst der Stunde, dass diese Debatte in den Medien auch wahrgenommen wird. Wir haben gemeinsam mit der katholischen Kirche 1989 ein Wort herausgegeben, das hieß „Gott ist ein Freund des Lebens“, in dem steht die Grundlage dessen, was wir jetzt diskutieren. Wir haben uns immer wieder geäußert zum Embryonenschutzgesetz, zur Gentechnik und zu den Spätabtreibungen.

Sie kämpfen dagegen, dass wir bei der Gentechnik alles machen, was möglich ist. In der Bibel steht, dass die Menschen die verbotenen Früchte vom Baum der Erkenntnis essen und aus dem Paradies vertrieben werden. Heißt das, Menschen machen immer, was sie können?

Das ist wohl so. Deshalb ist an der jetzigen Entwicklung auch nur die Qualität anders: Der Mensch greift jetzt in das Genkonzept der Menschen selbst ein.

Die Aussichten für eine Zähmung der Gentechnik sind schlecht. Sie sind nur noch ein Rufer in der Wüste.

Das ist mehr als Rufen in der Wüste. Es gibt ja eine starke Bewegung, die das kritisch sieht. Die Nachdenklichkeit hilft unserer Gesellschaft weiter. Denn selbst wenn es nicht gelänge, die Präimplantationsdiagnostik (PID) oder die Stammzellenforschung an Embryonen zu verhindern, dann könnte die Debatte doch dazu dienen, der Wirtschaft klare Grenzen zu setzen.

Was ist so schlimm an PID?

Es wird Missbrauch möglich: Nämlich den Menschen zu selektieren und das Werden eines Menschen danach zu bewerten, welchen Nutzen er hat. Eltern, die vor der Diagnose stehen, ein vermutlich behindertes Kind zu bekommen, müssen auch das Recht haben, so etwas nicht wissen zu wollen. Es darf keinen gesellschaftlichen Druck geben, diese Tests zu machen. Außerdem muss man darum kämpfen, dass behinderte Menschen nicht abgewertet werden, die nicht auf der Welt wären, wenn ihre Eltern nach solchen Kriterien entschieden hätten.

Aber warum soll bei der PID im Reagenzglas verboten werden, was jetzt nach einer pränatalen Untersuchung mit viel schwereren Konsequenzen für Mutter und Embryo erlaubt ist: Das Verhindern eines behinderten Lebens?

Bei der pränatalen Diagnostik haben wir im Abtreibungsgesetz eine große Lücke. Jedes Jahr werden 600 Kinder in einem Stadium abgetrieben, in dem sie lebensfähig wären und nur dadurch „erledigt“ werden, dass man sie liegen lässt. Das ist ein unerträglicher Zustand.

Wollen Sie die Debatte um den Abtreibungsparagrafen 218 noch einmal neu eröffnen?

Nein, nicht für die ganze Regelung. Aber die Spätabtreibungen muss man neu überdenken. Diese Regelung ist ja als medizinische Indikation für das Leben der Mutter gemacht worden und nicht, damit die Eltern sagen: Ein Kind mit einer möglichen Behinderung will ich nicht haben.

Wann beginnt das Leben? Die Kirchen sagen, Leben beginnt bei der Befruchtung des Eis, andere sagen, es beginnt mit der Einnistung der befruchteten Zelle in die Gebärmutter. Warum gehen Sie vom frühestmöglichen Zeitpunkt aus?

Wir sagen, es ist Leben von Anfang an. Wichtig ist für uns nicht so sehr der Zeitpunkt, sondern was mit den Embryonen geschieht. Für mich entscheidet sich das an der Frage: Darf es erlaubt sein, menschliches Leben zu verbrauchen?

Mensch von Anfang an, damit niemand dran rumpfuscht.

Das sagen auch unser Grundgesetz und das Embryonenschutzgesetz. Das menschliche Leben ist von Anfang an geschützt. Deshalb muss man Befürwortern der embryonalen Stammzellenforschung deutlich entgegentreten, die sagen, weil das Leben hier noch in einem Stadium ist, wo man alles damit machen kann, darf man auch alles damit machen. Menschliches Leben ist etwas durch den Schöpfer Anvertrautes, das seinen Wert in sich hat und nicht dadurch, das wir ihm seinen Wert zubilligen.

Aber die Grenze ist doch überschritten. Die so genannten überzähligen Embryonen kommen ja aus der Zeugung im Reagenzglas, die es längst schon gibt.

Die Kirchen haben davor gewarnt. Unsere These war: Wenn künstliche Befruchtung stattfindet, dann erwarten wir, dass sie nur vorgenommen wird, um Familien ein Kind zu ermöglichen und nicht für andere Zwecke. Es kann sein, dass wir damals die Grenze überschritten haben. Ich vermute, die Gefahr der Selektion ist dabei nicht richtig wahrgenommen worden.

Einem Zellhaufen sprechen Sie Menschenwürde zu. Einem Orang-Utan, der fast alle unserer Gene hat, aber nicht. Wo beginnt der Mensch?

Wir haben beim Umgang mit Tieren immer wieder zu Respekt aufgerufen. Aber es gibt einen prinzipiellen Unterschied zwischen Mensch und Tier: Ein befruchteter Embryo kann nur ein Mensch werden. Die Nähe zwischen Mensch und Säugetier findet in der Bibel dadurch Ausdruck, dass beide am gleichen Tag geschaffen werden. Aber Gott macht für den Menschen einen neuen Anfang. Er ist sein Ebenbild. Und dann bekommt der Mensch die Aufgabe, diese Schöpfung zu bewahren.

Kann ein gläubiger Christ Genforscher sein?

Ich stelle diese Frage nicht. Das müssen die Menschen selber wissen, ob sie das als Christen tun können. Natürlich kann es gläubige Genforscher geben. Aus glaubender Verantwortung können sie sich natürlich auf diese Bereiche einlassen. Selbstverständlich birgt Gentechnik auch Chancen, etwa zur besseren Bekämpfung von Krankheiten. Die Methoden müssen aber ethisch in Ordnung sein. Ich wünsche mir, dass Wissenschaftler entdecken, wir sind auf Grund unseres Christseins nicht in der Lage, über den Menschen beliebig zu verfügen. Der Mensch ist Ebenbild Gottes und keine Ware. Nach wie vor gilt das Bibelwort: Man kann nicht Gott und dem Mammon gleichzeitig dienen.

Die katholische Kirche hat erklärt, sie sei in der Frage der Gentechnik inzwischen näher an den Aussagen der Grünen als bei der traditionellen Bündnispartnerin CDU. Ist das auch bei Ihnen so?

Ja, was diese Frage angeht, sind wir den Grünen tatsächlich näher als manchen Vertretern der CDU. Aber es gibt auch breite Strömungen innerhalb der großen Parteien, die hier mit uns übereinstimmen.

Gibt es christliche Politik?

Nein. Christen engagieren sich in der Politik. Was geschieht, muss verantwortungsbezogen sein, das hat eine christliche Dimension, aber es gibt vor allem gute und schlechte Politik.

Aber es gibt eine christliche Partei.

Jaja. Die zieht aus ihrem Namen die Konsequenz, sich immer wieder daran messen lassen zu müssen, was an ihr christlich ist.