Bürgertum und Faschismus

Im Metropolis: Bernardo Bertoluccis meisterhafter Il conformista  ■ Von Tim Gallwitz

Deutsche Verleihtitel fremdsprachiger Filme sind oft ein Ärgernis. Häufig wird einfach nur grobschlächtig übersetzt. Meist mit dem Ziel, mehr Sex oder Gewalt anklingen zu lassen. Gleiches gilt, wenn der deutsche Titel mit dem Original gar nichts zu tun hat. Bisweilen aber entfalten sich ganz spezifische Umdeutungen.

Bernardo Bertoluccis Il conformista (1971) ward so zu Der große Irrtum. Dass es darin um den Faschismus und seine Verankerung im Bürgertum geht, führt auf die Fährte des deutschen Entlastungswunsches. Faschismus oder auch der Nationalsozialismus werden zum Irrtum verniedlicht – immerhin einem großen. Aber, wie heißt es so schön, irren ist menschlich, und die Worte „menschlich“ oder „Menschlichkeit“ haben in diesem Lande der Bewältigungskonformisten nicht umsonst nach 1945 eine beispiellose Karriere hingelegt: Sorry, Betriebsunfall, Irrtum, aber menschlich, bitte.

Des Konformisten (Jean-Louis Trintignant) sehnlichster Wunsch ist es, normal zu sein, wie die anderen zu sein. Aus großbürgerlichem Hause kommt er, hört auf den Namen Marcello Clerici, und es ist ein Ereignis in seiner Jugend, das ihn von den anderen trennt. Als 13-Jähriger von einem Chauffeur mit einer Pistole gelockt, vom Phallus bedroht, missbraucht, erschießt er den Päderasten, wie er meint.

Ein Schuldkomplex ist etabliert, der Wunsch nach Normalität drängende Folge. Und wenn Normalität Faschismus heißt, dann eben Faschismus, und wenn es Sakrament der Ehe heißt, dann also Ehe. Eine Ehe mit der kleinbürgerlichen Giulia (Stefania Sandrelli), die ihm mittelmäßig bloß erscheint, eben nur ganz Bett und Küche. Giulia ihrerseits hat fünfzehnjährig einen Missbrauch erlebt. Es war ein Advokat und Freund der Familie, und sie blieb passiv, fühlt sich schuldbeladen.

Im italienischen Film gerät der Faschismus fast regelhaft zu einer Angelegenheit des Bürgertums. Und seine Visualisierung über Architektur, sexuelle Machtverhältnisse und Dekadenz sind motivische Wiedergänger. Il conformista hat da schon fast prototypischen Charakter, wie er die neoklassische Brutalität ins Bild setzt, die gesellschaftliche Hierarchie steinern formiert. Oder wie er Versehrtheit durch sexualisierte Gewalt als Triebfeder faschistischer, normalitätswütiger Konformität beschreibt.

Die Hochzeitsreise von Marcello und Giulia ins Paris des Jahres 1938: ein erotischer Ausflug, ein mörderischer Auftrag. Professor Quadri, bei dem Marcello einst studierte, soll von ihm beseitigt werden. Die Begegnung mit dem exilierten Antifaschisten und seiner Frau Anna (Dominique Sanda) lässt unser Bürgerpärchen lustvoll-ängstlich über den Tellerrand des Normenkontrollsex blicken. Der Tangotanz der beiden Frauen, das Gespräch der beiden Männer über Platons Höhlengleichnis: Befreiung, ja Freiheit des Körpers und des Geistes deutet sich an, bleibt jedoch nur eine Episode. Wer nicht frei sein will und kann, muss die Freieren verraten, erinnern sie ihn doch stets nur ans selbst gebaute Gefängnis.

Bertolucci löst die Linearität der Novelle von Alberto Moravia auf, um sie über Rückblenden verschachtelt wieder zusammenzusetzen. Seine Adaption, für die er Oscar-nominiert wurde, erzielt derart eine abstrahierende Distanz, die von der frostig-eckigen Bildsprache noch verstärkt wird. Bertoluccis kongenialer Kameramann Vittorio Storaro (auch Kamera bei Der letzte Tango in Paris, 1900, Apocalypse Now, Dick Tracy), zeigt Räume, die den Menschen ducken, und Farben, die ihn erstarren lassen. Und Sto-raros kühle Oberflächen finden im zurückhaltenden Spiel Trintignants, der den Marcello als Typus interpretiert, dem jedwede Gefühlsregung als Verrat an der Normalität erscheinen muss, ihre konsequente Fortsetzung.

Unterm Strich ein Meisterstück, schrieben nicht wenige Kritiker. Bertolucci hatte sich in Die Strategie der Spinne (1970) bereits mit dem Faschismus beschäftigt. Lautete Roger Eberts Befund über diesen Godard-inspirierte Streifen noch „nicht fürs breite Publikum“, erklärte Bertolucci hinsichtlich des 750.000 Dollar billigen Il conformista, er strebe zur „traditionellen Erzählstruktur und zur Kommunikation mit dem Publikum“ zurück. Bleibt zu hoffen, das Publikum kommuniziert zurück.

Sonnabend, 17 Uhr, Metropolis