Erfindungshöhe gefragt

„Fiege – Ein Stück ohne Geilheit“ von Bernhard Studlar und Andreas Sauter beim Junge Hunde-Festival auf Kampnagel  ■ Von Karin Liebe

Den Herren pressiert's. Eine knappe halbe Stunde können sie für das Interview abknapsen, dann wieder fix zurück zu den Proben ins Foyer 6. Der Premierentag ihres vierten gemeinsamen Stückes auf Kampnagel naht. Bernhard Studlar, 28, bestellt sich im Café schnell was zum Essen. Er kaut, wenn Andreas Sauter, 26, spricht, und ergreift das Wort, wenn sein Kollege nachdenkt. Keiner fällt dem anderen ins Wort, beide wirken trotz des Zeitdrucks freundlich und entspannt.

Ein perfekt eingespieltes Team: Seit drei Jahren schreiben der Schweizer Sauter und der Österreicher Studlar zusammen Stücke – mit beachtlichem Erfolg. Im vergangenen Herbst gewannen sie für A. ist eine Andere den mit 15.000 Mark dotierten Kleist-Förderpreis für junge Dramatiker, ihr Trash-Libretto All about Mary Long bekam den Preis für eine Radikalkomödie des Staatstheaters Kassel.

Anlässlich der Premiere ihres jüngsten Stücks Fiege – Ein Stück ohne Geilheit beim Theaterfestival Hope and Glory in Zürich bejubelte die „Neue Zürcher Zeitung“ Sauter/Studlar vor wenigen Wochen als das „kreativste und erfolg-reichste Zweigespann, das die Dramatikergeneration der Mittzwanziger derzeit zu bieten hat“.

Auch wenn niemand genau weiß, wie viele Dramatiker-Zweigespanne Mitte zwanzig es überhaupt gibt, sind das doch ganz schön viele Lorbeeren für zwei Studenten der Berliner Hochschule der Künste, die erst im Frühjahr nächst-en Jahres ihr „Diplomstück“ im Fach „Szenisches Schreiben“ abliefern werden. Wahrscheinlich gemeinsam. Schnell haben Studlar und Sauter beim Studium gemerkt, dass sie gut harmonieren. Warum dann nicht auch zusammenarbeiten? Für Einzelkämpfer, so die beiden, sei sowieso kein Platz am Theater.

Bei Fiege sind die beiden Teamworker nicht nur für Text und Regie verantwortlich, sie spielen auch in Nebenrollen mit. Die Hauptrolle ist natürlich Fiege (Niklaus Talman), ein Patentamtsangestellter, dessen Leben so fade und perfekt organisiert wie sein Büroalltag ist und der glaubt, das würde immer so weiter gehen. Doch da tritt eine Frau, die Nachbarin Wiskowiak (Rebecca Klingenberg), in Fieges Leben, eine Liebesgeschichte bahnt sich an. Fiege wird jäh aus seinem eingefahrenen Da-sein herausgerissen, erhascht einen Zipfel Lebensglück – und verliert ihn wieder. Eine „Komitragödie“ nennt Bernhard Studlar das Stück. Das heißt: mehr Tragödie als Komödie.

Auf der Suche nach einem Menschen, dessen Beruf und Privatleben sich völlig decken, kam das Autorenduo auf den Patentamtsange-stellten Fiege. Das Patentamt steht dabei für einen „absolut ungeilen Ort“. Nach ihrem letzten gemeinsamen Stück All about Mary Long (zwischendrin schreiben beide auch solo), einer Trashkomödie, hatten sie Lust auf ein eher leises Stück ohne die ganze „Sex-Kotze“. Sie fragten sich: Was lässt sich mit einem langweiligen Menschen auf der Bühne machen? Kann er Stoff für einen ganzen Abend bieten?

Offenkundig. Die Zürcher Kritiker lobten die Aufführung als „erfindungsreich“, „sprachgewandt“ und voller „feiner, pointenreicher Gesten und Beobachtungen“. Allerdings wird sich die Hamburger von der Zürcher Inszenierung trotz gleicher Besetzung unterscheiden – schon durch den völlig anderen Raum. In Zürich fand das Ganze in einer Art kleiner Kellerwohnung statt, der Raum auf Kampnagel ist etwa zehnmal so groß. Den Örtlichkeiten entsprechend verlegten Sauter/Studlar den Schauplatz von Fieges Wohnzimmer in die Kantine des Patentamts und schrieben auch den Text teilweise um. Selbst die Musik ist neu gemixt: Der österreichische Komponist und Tonkünstler Gilbert Handler hat dafür Originalklänge aus dem Berliner Patentamt eingefangen – von der Kantine bis zum Klo.

„Ein Theaterpatent“ nennen Sauter/Studlar ihr Stück im Untertitel. Was soll das heißen? Eine „Wortspielerei“ sei es – und nicht ganz ernst zu nehmen. Bei ihren Recherchen am Berliner Patentamt haben sie nämlich herausgefunden, dass eine gewisse „Erfindungshöhe“ erreicht werden muss, um ein Patent anzumelden. Wie es mit der Erfindungshöhe der Hamburger Inszenierung steht, wird noch zu prüfen sein.

Premiere: heute, Donnerstag, 21 Uhr, Kampnagel, k6, weitere Vorstellungen: 15. und 16. Juni