Gehorsam im Glauben

Die konservative Lehre des Neokatechumenates breitet sich in Hamburg aus  ■ Von Peter Ahrens

Diese Gemeinden sind anders. Wenn die 175.000 KatholikInnen in Hamburg heute den Feiertag Fronleichnam begehen, dann wird auch im Kleinen Michel in St. Ansgar, in St. Gabriel und St. Theresien in Eidelstedt oder in St. Josef an der Großen Freiheit die Messe gefeiert – da gibt es keine Unterschiede. Die erkennt man erst auf den zweiten oder gar dritten Blick. In diesen Gemeinden hat sich die kirchliche Richtung des so genannten Neokatechumenates angesiedelt – eine selbst innerhalb der katholischen Kirche streng konservative Glaubensbewegung, die von KritikerInnen massiv in die Nähe einer Sekte gerückt wird. Die katholische Amtskirche im Erzbistum weiß darum, belässt es aber bislang dabei, die Gemeinden zu beobachten und nur im Konflikt einzugreifen. Prinzipiell hat man nichts gegen die Bewegung: „Grundsätzlich ist es ja auch gut, wenn es innerhalb der katholischen Kirche eine Vielfalt gibt“, sagt der Leiter der Pastoralen Dienststelle beim Erzbischof, Alois Jansen.

Der so genannte Kleine Michel, also die St. Ansgar-Gemeinde am Herrengraben, ist seit knapp zehn Jahren der Treffpunkt der Neokatechumenaten in Hamburg. Hier haben sich auch die beiden Pfarrer Winfried Klöckner und Ferdinand Zerhusen das Rüstzeug geholt, dass sie nun als Gemeindepriester in den Eidelstedter Nachbargemeinden St. Theresien und St. Gabriel anwenden. Vor allem in St. Gabriel hat Zerhusens Berufung und sein Amtsstil monatelang für Unruhe gesorgt. Nachdem sich das Erzbistum eingeschaltet hat und zu vermitteln versucht, ist die Aufregung zwar leicht abgeklungen, doch Skepsis gegenüber dem Pfarrer herrscht immer noch, wenn man sich in der Gemeinde umhört.

Das Neokatechumenat wurde in den 60er Jahren von dem spanischen Künstler Francicsco Arguello, der sich selbst Kiko nennt, gegründet – ursprünglich als „Weg der Glaubensvertiefung und -erneuerung“ für Menschen, die mit der Kirche nichts mehr zu tun haben wollten. Im Lauf der Jahre entwickelte sich daraus eine eigene Form gemeindlichen Lebens: In Gemeinden schließen sich die Neokatechumenaten zu eigenen Gruppen von 20 bis 30 Leuten zusammen und kapseln sich gewöhnlich vom Gemeindeleben ab. Ein Katechet tritt als Lehrer auf und bildet die Gruppenmitglieder über mehrere Stufen im Lauf von 15 bis 18 Jahren zu „Missionaren des Glaubens“ aus. Erst wenn sie die letzte Stufe erreicht haben, dürfen sie die Lehre dann selbst weiter geben.

In dieser Zeit sind die Mitglieder fest im Griff des Neokatechumenates. Jansen räumt ein, dass sich in vielen dieser Gruppen ein gewisses Elitedenken herausgebildet hat, „nach dem Motto: Wir sind die wahren Christen“. Doch die Kritik an der Lehre geht viel tiefer. Der Vorwurf der Sektenähnlichkeit steht im Raum. Die Evangelische Informationsstelle schreibt zum Beispiel: „Innerhalb der Bewegung herrscht absoluter Gehorsam, den jeweils der Stufentiefere dem Stufenhöheren entgegen bringen muss.“ Das Neokatechumenat pflegt zudem die umstrittene öffentliche Beichte in Gruppensitzungen und geht laut Informationsstelle von dem Menschenbild aus: „Der Mensch ist schlecht, sündhaft und schuldig.“ Kiko hat den Menschen als „von der Schlange beherrscht, vom Teufel, vom Tod und der Sünde“ beschrieben. Von daher sei erstes Ziel, die „Erniedrigung der Mitglieder, um zu erkennen, wie sündhaft sie sind“.

Lust und Sexualität gelten in der reinen Form des Neokatechumenates als Sünde, die Ehe wird als „Lebensgemeinschaft zweier Feinde“ definiert, die das Gruppenleben stört. Und selbst die Kindesliebe, so meldet die Informationsstelle, wird vom Neokatechumenat als falsch bewertet, da sie die Aggressionen der Eltern gegenüber ihren Kindern verdecke. Immer wieder werden die Neokatechumenaten auch mit exorzistischen Praktiken in Verbindung gebracht – was diese jedoch beharrlich bestreiten.

Die Lehre hat den Segen des Vatikans, und auch in Hamburg sieht die Kirche keinen Anlass, das Neokatechumenat über Gebühr zu kritisieren. Erzbischof Ludwig Averkamp und Weihbischof Hans-Jochen Jaschke haben bereits Gottesdienste am Kleinen Michel mit ihnen gefeiert, und Jansen sagt: „Es ist zweifellos eine konservative Bewegung – was ja aber nichts schlimmes ist.“

Jansen hat allerdings Verständnis für die Ängste, die gerade in St. Gabriel herrschten, als Zerhusen im Dezember 1998, als neuer Seelsorger aus Bad Bramstedt kommend, seinen Dienst antrat und in seine Predigten die Grundsätze seiner Lehre einflocht. Dem Neokatechumenat blieb er treu, für den Erstkommunionsunterricht engagierte er eine Lehrerin, die ebenfalls der Lehre anhängt. „Es hätte gerade vor Ernennung des Pfarrers mehr Gespräche über das Thema geben müssen“, gibt Jansen im Nachhinein zu und sieht „eine gewisse Gefahr, wenn sich ein Pries-ter nicht genug um die Gesamtgemeinde kümmert“. Dies habe sich in St. Gabriel inzwischen aber geändert, Zerhusen habe sich einsichtig gezeigt, dass er „zuerst Pfarrer der Gesamtgemeinde zu sein hat“. Die Bedenken in St. Gabriel, so Jansens Einschätzung, seien ohnehin „eher emotional als sachlich begründet“.