„Die taz ist Fotografie“

15 Jahre Zeitungsfotografie, das ist fast nur ein Zehntel der ganzen Fotogeschichte, die ja 1839 begann. Ein kurzer Zeitraum scheint es, gegenwartsnah, und doch wohl bereits eine zum Abschluss kommende Epoche, museumswürdig. Würdig gerade für mein Museum, das als stadthistorisches bedeutende Sammlungen zum Thema besitzt, um das es hier geht.

Naturgemäß, also aus konservatorischen Gründen kann man davon immer nur zeitweise etwas sehen. Und leider gibt es auch noch keine umfassende Darstellung der Bremer Fotogeschichte. In einem Katalog aus dem Focke-Museum wurde vor 15 Jahren das erste halbe Jahrhundert behandelt. Wie hier waren Bildreportagen dabei, Porträts, Politikerauftritte und Darstellungen der Stadtentwicklung. Dass diese Themen damals anders zum fotografischen Bild wurden, ist mit der noch gänzlich anderen Technik zu erklären, lange Belichtungszeiten zwangen zu statischen Motiven, zwangen zum Geraden und Aufrechten. Die bis ins 20. Jahrhundert verwandte Kopfstütze zur Disziplinierung des Objektes ist in unserem Fundus zu besichtigen.

Dass das Gerade und Aufrechte hier nun fast gänzlich fehlt, liegt nun allerdings nicht einfach daran, daß die Objekte diese Krücke erleichtert wegwerfen konnten, also nicht nur am technischen Fortschritt, sondern hat konzeptionelle Gründe. Dazu gleich mehr.

Eine Ausstellungseröffnung so nahe an Mitternacht zu legen, hat bei mir angenehme Erinnerungen an die Eröffnungen des Fotoforums geweckt, das vor zehn Jahren, ich war gerade nach Bremen gekommen, noch in der Böttcherstraße nach 22 Uhr am Freitag vernissierte. Die Nacht kam gut für das Lichtbild.

Aber der späte Termin weckt nicht nur Erinnerungen, er hat eben auch hohen Symbolwert: Es ist kurz vor Zwölf, das ist ja der bekannte Warnruf der Museumsleute, die gerade noch rechtzeitig vor dem Untergang Kulturgut retten wollen, weil eine Epoche zu Ende geht. Und dies geschieht wohl eben auch für die taz-Fotografie: Das analoge Zeitalter geht gerade jetzt auch hier zu Ende, die Ausstattung der Fotografen mit einer digitalen Kamera ist eingeleitet. Anlass genug, aufmerksam, aufmerksamer als wir das heute hier tun können, auf die 50.000 Fotos zu gucken und zu „retten“ ?

Die Ausstellung reflektiert diesen Umstand bereits, sie enthält didaktische Elemente, die die Arbeitsmethoden, die Bildauswahl anhand der Negative, den materiellen Umgang mit den Fotos, aber auch den Arbeitsalltag anhand eines Tagesablaufs mit Dunkelkammer thematisieren. Sie stellt es aber auch ästhetisch dar: der schwarze Rand, die Bildbegrenzung auf dem Filmmaterial, wird als Zeichen für die Authentizität der Aufnahme eingesetzt. Das macht den Reiz dieser Präsentation aus, führt gleichsam das Originale vor, es ist aber auch manches Mal bewusst gesetztes Mittel im Zeitungsdruck. Damit wird die Bildwertigkeit erhöht.

Dies ist allerdings nur ein Element – wie es der Bremer Anzeiger für diese Ausstellung gestern formulierte – des besonderen Markenzeichens der künstlerischen Pressefotografie der taz. Eine schwierige Bezeichnung. Ich weiß nicht, ob die Fotografen der taz sie richtig finden. Sie ist nicht allein damit zu begründen, daß diese – in der Regel? – von der Hochschule für Künste kommen. Sie mag zur Abgrenzung gegenüber der üblichen Fotografie in der anderen Bremer Presse dienen, denn anders als dort ist die taz Fotografie. Sie ist es nicht in jedem Foto, aber es ist doch in diesen 15 Jahren gelungen eine besondere Atmosphäre zu erzeugen. Dazu ein paar Beobachtungen:Ich komme auf die fehlende Nackenstütze zurück. Gefragt von einem der taz-Fotografen, was ich denn für typisch für die taz Fotografie hielte, habe ich gewagt, das auf einen Begriff zu bringen: für mich sei es das „Schräge“. Ich meine das auf zweierlei Weise: zum einen formal – und ich denke, das ließe sich deutlich quantifizieren – gibt es kaum sonst so viele stürzende Linien, soviel Nach-oben-aus-dem-Bild-laufen oder Von-unten-auf-das-Objekt-sehen in den anderen Printorganen. Für die Knipserfotografie wäre das Ergebnis von unfreiwilligem Unvermögen, hier ist es Absicht, ja vielleicht Programm zu nennen. Die fallenden Linien – in der Architekturfotografie verpönt, zur Vermeidung gibt es ja entsprechende Objektive – bewirken hier die Entmonumentaliserung der Objekte: das Haupt- und Staatsaktionsgebäude Rathaus wird zum Tor für „Joke“ und Bier, die Bürgerschaft zur rechts liegengelassenen Fassade ... Die schräge Methode klappt vielfach in diesem Sinne, besonders gut auch beim Politikerauftritt. Aber dies ist nicht zur Masche verkommen und hat die unterschiedlichsten Dimensionen.

Wer Objekt eines taz-Fotografen war, wird bestätigen, dass das Schräge auch eine besondere Zuwendung bedeutet, dass es Umkreistwerden heißt, dass sich Zeit genommen wird, um von mehreren Seiten sehen und auswählen zu können. Und das Schräge meint noch mehr. Auch da kennen viele von uns die fotografische Situation der anderen Organe, wo in Hetze und in Fairness, weil man sich ja auch seit Jahren kennt und braucht, die Situation gebaut wird, mittig grade nach klarem Muster, Macher vor Sache, Sache in Hand von Macher. Das Gerade ist, wenn nicht Ehrfurcht, so doch der Respekt vor der gewöhnlichen Hierarchie der Macht. Staatsoberhäupter und Verwandte werden würdevoll dargestellt, die Vermittlung ist in der Regel eindeutig. Die taz rückt aus der Mitte, lässt den Blick zur Seite schweifen, die Nebensache relativiert vielleicht die Bedeutung, oder – und das freut mich immer besonders beim Thema Ausstellungen – diese Ausstellung ist thematisch geordnet, hier wird nicht einfach immer Macher vor Vitrine, Scheinbesucher vor Bild etc. gestellt, sondern auf die Sachen das Objektiv gerichtet. Die erscheint aber nicht wie eine Katalogabbildung – objektiv in Perspektive, Schärfe, Licht – sondern atmosphärisch, ungewohnt. Ist das der künstlerische Fotojournalismus? Vielleicht in folgendem Sinne: Wenn ich den etwas historischen Begriff der subjektiven Fotgrafie im Sinne Otto Steinerts hier anwende, meine ich damit nicht, dass die Methode von gestern sei, sondern dass hier wohl eine Schule wirksam sei, in der nicht die dokumentarische, sondern die emotionale Ausdruckskraft im Vordergrund steht. Das persönliche Gestaltungsmoment steht nahezu im Gegensatz zur angewandten Gebrauchs- und Dokumentarfotografie, es scheint eher um kreative Veränderung, nicht um objektive Wiedergabe der Realität zu gehen. Bisweilen werden dann Motive auch zu Metaphern.

Wie sehr diese „Methode“ zur Schreibe der taz passt, muss man im Kontext der Zeitung erproben, an einigen Stellen verweist diese Ausstellung darauf. Ich finde, sie tut das kongenial. Ihr Vorteil ist die Mehrdeutigkeit, ihr Nachteil eine mögliche Beliebigkeit, die zum manchmal vorhandenen Meinungsjournalismus passen könnte.

Manchmal, bisweilen, oft auch zuviel, aber im Großen und Ganzen wird hier in Text und Bild eine wichtige Perspektive eingenommen, die in den anderen Organen fehlt, wird hier schräg zur herrschenden Auffassung dargestellt, wird Aufmerksamkeit erzeugt, nicht Wiedererkennen abgefeiert –und dafür: Herzlichen Glückwunsch.

Als Historiker will ich zurückgreifen, auf die Anfänge: „ ... in unnachahmlicher Treue...“ sah Alexander von Humboldt die Abbildungsfähigkeit des revolutionären, ganz neuen Mediums Fotografie 1839. In unnachahmlicher Treue sind die taz-Fotografen ihrem Anderssein treu geblieben.Das gelang wohl immer auch deshalb wieder, weil die soziale oder organisatorische Methode besonders ist (wenn auch arbeitsrechtlich keineswegs ideal): Jeweils sechs junge Fotografen teilen sich eine Woche. Mehr als zwanzig haben dies in den letzten 15 Jahren getan, sie haben immer wieder für eine Treue zum frischen Blick gesorgt.

Die Ausstellung ist bis zum 1. Juli in der Galerie Rabus, Plantage 13, zu besichtigen: donnerstags bis sonntags von 16 bis 18 Uhr