Wo Rosa und Karl geduldet wurden

Vor 75 Jahren wurde das Revolutionsmonument Mies van der Rohes für Liebknecht und Luxemburg auf dem Friedhof Friedrichsfelde eingeweiht – und neun Jahre später von den Nazis geschleift. Ein Ort der Brüche, die lehrreich sind

von PHILIPP GESSLER

Was hat die derzeitige Diskussion um einen rot-rot-grünen Senat mit einer stillen Ecke des Zentralfriedhofs Friedrichsfelde zu tun? Eigentlich nichts. Oder vielleicht doch recht viel? Hier liegen in einem anonymen Massengrab die sterblichen Überreste Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts. An der „Gedenkstätte der Sozialisten“, etwa einen Kilometer entfernt auf dem gleichen Friedhof, gedenken ihrer zwar Jahr für Jahr hunderttausende von Linken – beerdigt liegen die KPD-Gründer dort gleichwohl nicht. Und das hat etwas mit der Gegner-, ja Feindschaft zwischen der SPD und KPD in der Weimarer Republik zu tun: eine erbitterte Konkurrenz zweier Arbeiterparteien, deren Nachklänge noch heute eine Regierungsbeteiligung der Sozialisten der PDS mit den Sozialdemokraten im Senat für manche so problematisch macht.

Ein zu großer historischer Bogen? Zumindest spannte ihn Heinrich-Wilhelm Wörmann, Mitglied der Historiker-Kommission der Landes-SPD, gestern bei einer denkwürdigen Gedenkstunde. Etwa zwei Dutzend Interessierte gedachten der Einweihung des Revolutionsmonuments für Luxemburg und Liebknecht vor genau 75 Jahren. Kunsthistorisch war es bedeutend, denn Architekt des Denkmals war der Bauhaus-Chef Ludwig Mies van der Rohe. Er baute einen klotzigen Kubus von zwölf Metern Länge, vier Metern Breite und sechs Metern Höhe aus hart gebranntem, dunklem Klinker zu Ehren der Arbeiterführer, die beim „Spartakus-Aufstand“ von Januar 1919 von rechtsextremistischen Freikorps ermordet worden waren. Diese Form schien ihm angemessener zu sein als eine Rodin-Plastik in einer klassizistischen Ruhestätte, die auch für jedes Aristokratengrab gepasst hätte.

Eingeweiht wurde das Revolutionsmonument Mies van der Rohes in einer abgelegenen Stelledes Friedhofs. Denn nur dort, so einigte man sich nach längerem Hin und Her, duldeten die sozialdemokratischen Männer an der Macht und ihre oft noch kaisertreuen Beamten ein Grab für Luxemburg und Liebknecht. Der Grund: Die KPD-Führer kämpften im Januar 1919 gegen die sozialdemokratisch geprägte Revolutions- und Übergangsregierung. Die prominenteste Stelle des Friedhofs, den so genannten „Feldherrnhügel“ mit den Gräbern von viel SPD-Prominenz der Jahrhundertwende, gönnte man den Kommunisten nicht.

Als 1926 der KPD-Multifunktionär Wilhelm Pieck am 13. Juni, am siebten Jahrestag der Beerdigung „Rosas“, den Kubus Mies van der Rohes enthüllte, war der Wettstreit zwischen SPD und KPD voll entbrannt: Die Kommunisten betrachteten die Sozialdemokraten in der Regel und auch offiziell als „Sozialfaschisten“, „Arbeiterverräter“ und „Hauptfeind“ (nicht etwa die aufkommenden Nationalsozialisten). Für die meisten SPDler waren die Kommunisten unverantwortliche Republikfeinde.

In der Nazizeit aber wurden beide verfolgt – und das Revolutionsdenkmal von den Faschisten 1935 geschleift. Im Frühjahr 1941 wurden die „ehemaligen Kommunistengräber“, wie es damals hieß, endgültig eingeebnet und neue Beerdigungen an gleicher Stelle angeordnet. Nach dem Krieg grub man nach den Resten Rosas und Karls, konnte aber nichts mehr finden – so liegen die eigentlichen Gräber noch heute an dieser stillen Ecke des Friedhofs. Ein Gedenkstein, errichtet in den Achtzigerjahren, erinnnert daran, dass das Revolutionsmonument an dieser Stelle stand. Dass hier auch noch Luxemburg und Liebknecht liegen, wird nicht erwähnt.

Denn stattdessen wurde 1951 die recht monumentale „Gedenkstätte der Sozialisten“ auf dem früheren „Feldherrnhügel“ errichtet – eher geeignet für die jährlichen Massendemonstrationen, die die SED-Führung dorthin organisierte. Wilhelm Pieck, damals erster DDR-Staatspräsident, weihte die Gedenkstätte erneut ein. Er selbst liegt dort begraben. Ebenso Walter Ullbricht, Otto Grotewohl und andere DDR-Oberen. An Ernst Thälmann, erschossen im KZ, erinnert eine Tafel. Nach den Erfahrungen der gemeinsamen Verfolgung durch die Nazis akzeptierten die SED-Funktionäre auch, dass führende Sozialdemokraten dort ihre Ruhestätte fanden. Zu ihnen gehört Rudolf Breitscheid, der in der Weimarer Republik SPD-Fraktionschef im Reichstag war und in einem Nazilager bei einem Bombenangriff ums Leben kam.

Diese an sich noble Geste der DDR-Führung aber war nicht ganz unproblematisch, da sie damit die ganze Tradition der Arbeiterbewegung einschließlich der Helden Rosa und Karl für sich beanspruchte – ein „Missbrauch von Traditionen“, wie Jürgen Hofmann gestern sagte. Der Historiker gehört wie Wörmann zum „Förderkreis Erinnerungsstätte der deutschen Arbeiterbewegung Berlin-Friedrichsfelde“, der die Gedenkstunde organisierte. Hofmann erinnerte auch daran, dass nach dem „umstrittenen Zusammenschluss“ der SPD mit der KPD zur SED nach dem Zweiten Weltkrieg viele Sozialdemokraten in Westdeutschland wenig mit der Vereinnahmung ihrer Geschichte durch das Denkmal in Friedrichsfelde anfangen konnten. Immerhin besuchte 1988 eine Delegation von der SPD-Bundesebene die Gedenkstätte. Und Jochen Vogel fand dabei Worte, die wohl am ehesten die Aufgabe dieses Friedhofs beschreiben: ein Ort, „um aus dieser Geschichte zu lernen“.