Ein Streifzug durch das Strafgesetzbuch

Innerhalb von knapp vier Wochen hat Viktor G. Menschen bedroht, Geld erpresst, seine Eltern geschlagen, einen falschen Führerschein benutzt. Nun steht er vor Gericht

Wenn Viktor G. Wodka trinkt, packt ihn bisweilen der Mut. Eine regelrechte Attacke von Kühnheit scheint es zu sein, die den 40-jährigen gelernten Baggerführer in solchen Momenten überfällt. Diese Kühnheit treibt Viktor G. zu gewagten kriminellen Handlungen. Etwa, dass er die Angestellte eines „Foto-Fix“-Geschäfts in einem Einkaufszentrum mit einer Handgranate bedroht. Die Granate ist in Wahrheit zwar nur ein Feuerzeug, aber das weiß die erschrockene Angestellte in ihrer Angst nicht.

Mitten in der Abfolge der verhängnisvollen Ereignisse passiert es jedoch auch, dass die Vorhaben des Viktor G. irgendwie stecken bleiben. Ja, sie kommen fast nie über das Versuchsstadium hinaus. Viktor G. zieht wieder ab mit seiner falschen Granate, wird vom Wachschutz vertrieben oder kurzzeitig verhaftet. Seine Unternehmungen scheitern also meist. Bis zum nächsten Mal. Wenn ihn nach dem Wodka wieder der Mut überkommt.

Nun hat die verbrecherische Entschlossenheit den aus Kirgisien stammenden Mann allerdings zum letzten Jahreswechsel ein wenig zu oft befallen. Deswegen muss Viktor G. sich seit gestern vor dem Landgericht verantworten. Die Anklage lautet auf Hausfriedensbruch, Bedrohung, Beleidigung, Körperverletzung, Nötigung, Diebstahl und Urkundenfälschung. „Ein weiter Steifzug durchs Strafgesetzbuch“, sei das, was Victor G. innerhalb eines knappen Monats geschafft habe, sagte der Richter fast ehrfürchtig. Kaum ein Mensch könne in so kurzer Zeit so viele Vergehen anhäufen. Der Mann auf der Anklagebank hörte ihm mit hängenden Schultern zu. Die dunklen Augenbrauen hatte Viktor G. sorgenvoll nach oben gezogen.

Demütig räumte er denn auch den Vorfall im Charlottenburger Hotel Astoria ein. Prompt nach seiner Entlassung aus der Justizvollzugsanstalt Tegel war Viktor G. dort im Dezember vergangenen Jahres an die Hotelrezeption getreten und hatte eine Million Mark verlangt. Als ihm eine Angestellte mit der Begründung, der Chef sei gerade im Urlaub, das Geld verweigerte, zog Viktor G. eine echt aussehende Pistole und bestellte bei der Frau ein Zimmer und ein Bier. Wenig später nahm ihn die Polizei fest. Seine Waffe entpuppte sich wieder einmal als Feuerzeug, Viktor G. selbst wirkte betrunken.

Mit Trunkenheit rechtfertigte er gestern im Gerichtsaal auch die Serie von Erpressungen gegenüber seinen eigenen Eltern. Insgesamt 500 Mark hatte er von ihnen eingefordert. Um seine vielen Taxirechnungen zu bezahlen. Viktor G. hatte Vater und Mutter so oft geschlagen, dass sich die beiden aus Angst nur noch tagsüber in der gemeinsamen Wohnung aufhielten. Schließlich erstattete Elizaveta G. Anzeige. Der Polizei sagte sie: „Mein Sohn ist nie nüchtern.“

Tatsächlich hatte Viktor G. bis zu seiner Verhaftung jeden Tag ab mittags getrunken, gab er gestern zu. Oft war er dann alkoholisiert in das Friedrichshainer „Ring-Center“ gefahren. Einmal hatte er dort ein Paar Herrenschuhe aus der Auslage eines Schuhladens unter die Jacke gesteckt, war aber kurz darauf vom Sicherheitspersonal erwischt worden. Andere Zusammenstöße ereigneten sich im „Foto-Fix“-Geschäft. Oft hatte Viktor G. auch nur versucht, in Supermärkten Schnaps zu klauen. Bei seiner Festnahme fand man in seiner Geldbörse einen falschen Führerschein.

Der Prozess werde noch sehr lange dauern, sagte der Richter gestern zu Beginn der Verhandlung. Wegen der großen Zahl der Vergehen. Viktor G. duckte sich hinter der Anklagebank. Ganz klein machte er sich. So als könne das Verfahren auf diese Weise einfach über seinen Haarschopf hinwegrutschen. Der Prozess wird nächste Woche fortgesetzt.

KIRSTEN KÜPPERS