Der Sommer-Senat

Die Übergangsregierung steht – fast. SPD und Grüne einigen sich auf Ressorts. Neu im Senat: Wolfgang Wieland (Justiz), Ehrhart Körting (Inneres) und die Hamburgerin Adrienne Göhler (Kultur)

Die rot-grüne Übergangsregierung ist startbereit. SPD und Grüne stellten gestern die Pläne für den neuen Interimssenat vor. Der SPD-Landesvorsitzende Peter Strieder rief den „Gute-Laune-Senat“ aus und sagte, die Koalition werde zum schnellstmöglichen Zeitpunkt Neuwahlen herbeiführen und um das Vertrauen der Wähler bitten.

Schwerpunkte der Übergangsregierung sollen neben der Vorbereitung von Wahlen die Bewältigung der katastrophalen Finanzkrise, die Sanierung der Bankgesellschaft Berlin sowie eine effektive Bekämpfung der Korruption sein. Bildung und Ausbildung sollen Priorität haben und von Kürzungen ausgenommen sein. Am Abend zuvor hatten sich beide Parteien auf eine entsprechende Koalitionsvereinbarung sowie die Aufteilung der Ressorts geeinigt.

SPD und Grüne wollen in der heutigen Sitzung des Abgeordnetenhauses einen Misstrauensantrag gegen Eberhard Diepgen (CDU) im Parlament einbringen. Laut Landesverfassung darf erst 48 Stunden später über den Antrag abgestimmt werden. Erst am Samstag wird daher der bisherige SPD-Fraktionsvorsitzende Klaus Wowereit zum neuen Regierenden Bürgermeister gewählt werden.

Diepgen gibt heute vor der Einbringung des Antrages seine letzte Regierungserklärung ab, danach sprechen die Fraktionsvorsitzenden Frank Steffel (CDU), Harald Wolf (PDS), Wolfgang Wieland (Grüne) sowie der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Michael Müller zum Abwahlantrag. Die SPD bringt auch gegen die CDU-Senatoren Abwahlanträge ein. Die SPD-Senatoren haben angekündigt, am Samstag nach der Wahl Wowereits von selbst zurückzutreten. Wowereit soll dann seine Senatoren vorschlagen, die einzeln vom Parlament gewählt werden müssen.

Der CDU-Fraktionsvorsitzende Frank Steffel warnte die SPD gestern erneut vor einem Zusammengehen mit der PDS und kündigte einen entschlossenen Wahlkampf an: „Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren“, zitierte er Bertolt Brecht. Steffel hat bereits eine Unterschriftensammlung gegen eine Regierungsbeteiligung der PDS angeregt. Die Grünen forderte Steffel auf, den Zusatz „Bündnis 90“ aus ihrem Namen zu streichen. Zur Koalitionsvereinbarung sagte Steffel: „Wir haben nichts erwartet, aber das ist voll erfüllt worden.“

Regierender Bürgermeister: Seinen meistzitierten Satz hat Klaus Wowereit (SPD) nur einmal gesprochen – am vergangenen Sonntag: „Ich bin schwul. Und das ist auch gut so.“ Damit kam der 47-Jährige auf die Titelseite der Bild und ins Stadtgespräch Berlins. Unzählige Male hingegen wiederholte Wowereit: „Landowsky muss zurücktreten.“ Mit diesem Mantra begleitete Wowereit die Koalitionskrise, bis nicht nur der Bankpleitier Landowsky, sondern auch sein Meister Diepgen am Ende waren. Jetzt lässt sich Wowereit selbst wählen – mit den Stimmen der PDS. Der langjährige Kommunalpolitiker aus Tempelhof hat es also tatsächlich bis zum Regierenden Bürgermeister gebracht. Stoppen können ihn jetzt nur noch die Wähler im Herbst.

Justiz: Manchmal ist er sich schon selbst wie der letzte Mohikaner vorgekommen, seine Weggefährtinnen zogen an ihm vorbei: Nun wird der 53-jährige Jurist Wolfgang Wieland (Grüne) nach langen quälenden Jahren auf der Oppositionsbank Justizsenator. Durch große Sachkompetenz und Redegewandheit hat sich das grüne Urgestein auch bei seinen Gegnern hohen Respekt erworben. Seine Qualitäten sind seine Ruhe und Verlässlichkeit und die Fähigkeit, zu integrieren. Als der Spenden- und Bankenskandal bekannt wurde, war Wieland einer der Ersten, der den Rücktritt Landowskys forderten und Regressansprüche geltend machten. In letzter Zeit wirkte der Fraktionsvorsitzende der Grünen ein wenig müde und ausgepowert. Das scheint seit dem Bruch der großen Koaltion aber wie verfolgen.

Inneres: Im Umgang angenehm und kollegial, in der Sache unberechbar. Der neue Innensenator Ehrhart Körting (SPD) ist kein Mensch, der sich auf eine politische Richtung festlegen lässt. Der 58-jährige Jurist und frühere Vizepräsident des Berliner Verfassungsgerichtshofs war von Ende 1997 bis zum 9. Dezember 1999 Senator für Justiz. Bereits während dieser Zeit hat der Alt-68er gezeigt, dass er unberechenbar ist. Einerseits versteht er sich als „Freiheitsfanatiker“, anderseits hat er keine Skrupel, die Einführung von geschlossenen Heimen für strafunmündige Kinder zu fordern. Körting, der zuletzt als Rechtsanwalt gearbeitet hatte, wollte sich eigentlich aus der Politik zurückziehen. Es ist davon auszugehen, dass er nur für die Übergangsregierung als Innensenator zur Verfügung steht.

Kultur- und Wissenschaft: Nachfolgerin des glücklosen Christoph Stölzl (CDU) soll Adrienne Göhler werden. Die 45-Jährige ist das bisher einzig neue Gesicht auf Berliner Ebene. Seit 1989 ist sie Präsidentin der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg. Sie gilt als eigenwillig, kämpferisch, undiplomatisch. Eine Frau, die polarisiert. Der Streit um die Hauptstadtkultur wird somit an Farbe gewinnen. Denn nicht einmal mit den Grünen, die sie nun aufstellen, ist sie ganz grün. Das Gründungsmitglied der Hamburger Grün-Alternativen Liste (GAL) war bereits 1990 aus der Partei ausgetreten. Ihr Wechsel nach Berlin überrascht nicht, denn sie wollte raus aus dem Hamburger Klüngel, von dem sie sich gemobbt fühlte. Nur wollte sie eigentlich nicht in die Politik, sondern in Berlin als Psychologin promovieren.

Stadtentwicklung: Auf Peter Strieder, der in den vergangenen Monaten mehr als SPD-Chef und Bad Boy der Koalition agieren musste, kommen auch schwierige Zeiten als Bausenator zu. Angesichts der dramatischen Haushaltslage stehen Projekte wie die „Topographie des Terrors“, die Verlängerung der U5 oder der Messeausbau auf dem Index. Auch bei anderen Bauvorhaben, wie dem auf der Museumsinsel, für Parks oder den Schlossplatz, wird Strieder vom Sparzwang bestimmt sein. Da heißt es kleinere Brötchen backen – wohl auch für Stadtsanierungen und das Quartiersmanagement. Bleibt das „Planwerk“ und die Verdichtung der Innenstadt. Dort kann der „Supersenator“ für Bauen und Verkehr beweisen, ob er oder der Finanzsenator oder nur noch private Investoren über die Stadtentwicklung bestimmen.

Schule, Jugend, Sport: Amtsinhaber Klaus Böger muss im ungeliebten Klassenzimmer bleiben. Der SPD-Rechte wird nicht Innensenator, wie Gerüchte bereits umliefen. So kann sich Böger seinem großen Wurf, einem neuen Schulgesetz, widmen. Die Schulen sollen ab 2002 mehr Autonomie erhalten, ihre Mittel selber verwalten und gegenseitig in Konkurrenz treten. Schüler, Eltern und Gewerkschaften sehen noch erheblichen Diskussionsbedarf. Wenig Streit dürfte es in der neue Koalition an anderer Stelle geben: Bei der Bildung wird nicht gespart, und Religionsunterricht bleibt Privatvergnügen. Ansonsten hält es der eingefleischte Westberliner Böger mit dem Ostklub 1. FC Union: Nie mehr dritte Liga!

Arbeit, Gesundheit, Frauen: Arbeitssenatorin Gabriele Schöttler (SPD) bleibt im Amt. Konnte ihre Vorgängerin, Bundesfamilienministerin Christine Bergmann (SPD), noch Akzente in der Arbeitsmarktpolitik setzen, so litt Schöttlers Ressort wie kein anderes unter der Sparpolitik. Das Motto „Wenn Rotstift, dann bei der Arbeitsförderung“ – bei wenig Gegenwehr. Dafür brachte Schöttler die von den Gewerkschaften kritisierte Privatisierung der städtischen Kliniken auf den Weg. Das verlustreiche Unternehmen soll in zwei Jahren rote Zahlen schreiben. Klinikchef Wolfgang Schäfer: „Unrealistisch.“ Eines muss man Schöttler aber lassen: Ihrer Maxime „Kurze Leine für Kampfhunde“ blieb sie treu. Wenigstens etwas.

Finanzen und Wirtschaft: Unklar war gestern Abend noch, wer im Übergangssenat diese beiden nicht nur angesichts der Finanzkrise wichtigen Ressorts übernimmt. Klar ist nur die Aufteilung. Die SPD übernimmt die Finanzen, die möglicherweise von Klaus Wowereit mit verwaltet werden könnten. Aus SPD-Kreisen hieß es, man suche aber auch noch nach einem anderen Kandidaten. Die Grünen sollen „im Einvernehmen“ mit der SPD den Wirtschaftssenator vorschlagen. Gesucht wird ein parteiunabhängiger Kandidat für das um die Bereiche Abfallwirtschaft und regenerative Energien erweiterte Ressort. Dieser Schritt sei ihm schwer gefallen, erklärte Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD), der bisher auch für diese Ökothemen zuständig war. GA, RA, ROLA, ROT, SAND

FOTOS: GLASER, BORRS, REUTERS, AP, SCHOLZ, SCHOELZEL (2)