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: Radprofi Dario Frigo packt aus und gleich wieder ein

Versuchsmäuse im Sattel

Vor etwa einem Jahr erschien in Deutschland der zweite Radsportkrimi des amerikanischen Schriftstellers und Journalisten Greg Moody. „Mörderische Saison“ behandelt das Schicksal des aus den USA nach Europa gekommenen Profis Will Ross bei einer Tour de France, in der einiges schief läuft. Wie auch die anderen Bücher von Moody ist dieses teilweise spannend, teilweise witzig, beschreibt kundig die Atmosphäre im Speichenzirkus und lässt den Leser die Faszination des Radsports spüren. Nur der Plot schien arg weit hergeholt. Skrupellose Mitarbeiter eines Pharma-Unternehmens päppeln das Radteam des Konzerns bei der Tour de France mit einem Medikament auf, dessen Entwicklung einst gestoppt wurde, weil es in der Erprobungsphase zu Todesfällen kam. Was natürlich zu mörderischen Konsequenzen bei der Frankreich-Rundfahrt führt.

Ziemlich hanebüchen, dachte man damals, doch heute muss Abbitte bei Greg Moody geleistet werden. Zumindest ein Teil seiner Vision wurde beim diesjährigen Giro d’Italia wahr. Das Mittel Hemassist, das bei der großen Polizei-Razzia in San Remo im Gepäck von Dario Frigo, zu diesem Zeitpunkt Zweiter der Gesamtwertung, gefunden wurde, galt noch 1998 als große Hoffung für die Behandlung von Menschen, die starke Blutverluste erlitten hatten. Die Baxter Healthcare Corporation in Deerdfield, Illinois, wollte das Medikament ursprünglich Ende 1999 auf den Markt bringen, doch dann stellte sich bei Tests mit Unfallopfern heraus, dass die Zahl der Todesfälle bei den Personen, die das Mittel erhielten, höher war als bei anderen. Noch 1998 wurde die Produktion eingestellt, Sprecher der Baxter Corporation versichern, dass danach nichts mehr hergestellt wurde und man sämtliche produzierten Bestände zurückgeholt habe. Wie Hemassist, offensichtlich in Baxter-Verpackung, an Dario Frigo gelangt ist, konnte sich bei der Firma niemand erklären, zumal die Verfallszeit des Produkts nur ein Jahr beträgt.

Seit Dienstag wissen zumindest die italienischen Ermittler Bescheid. Acht Stunden lang wurde Dario Frigo vom Vorsitzenden der Antidopingkommission des italienischen NOK, Giacomo Aiello, und zwei Dopingfahndern der Polizei verhört. Er habe noch nie einen Radfahrer erlebt, der in vergleichbarer Situation so kooperativ gewesen sei, lobte Aiello, Frigo habe „interessante Dinge“ erzählt, unter anderem über die Herkunft der Präparate in seinem Besitz. „Ich bin erleichtert“, sagte der 27-jährige Italiener, der allerdings gestern in einer Pressekonferenz plötzlich bestritt, jemals gedopt zu haben. Die gefundenen Mittel habe er „aus Schwäche“ mitgeführt, sie aber nicht benutzt. Da er noch lebt, klingt das sogar glaubhaft.

Giancarlo Ferretti ist nicht so überzeugt von der Unschuld seines Ex-Fahrers. Der Direktor des Teams Fassa Bortolo, das den ertappten Sünder umgehend entließ, vermutet: „Frigo wollte in zwei bis drei Jahren an die großen Dollars kommen, die Möglichkeit, krank zu werden, schien ihm nicht real.“ Das geht anderen Profis offenbar ähnlich. Die größte Katastrophe im Antidopingkampf sei der Epo-Nachweis, zitiert die spanische Zeitung El País Mediziner aus dem Radsportmilieu. Eine gewagte Theorie, doch die Funde von San Remo zeigen, dass der zugedrehte Epo-Hahn tatsächlich etliche Sportler dazu verleitet, mit gefährlicheren und wenig erprobten Stoffen zu experimentieren. So zum Beispiel RSR 13, das zur besseren Durchblutung von Gehirntumoren entwickelt wird, um dadurch die Effizienz der Chemotherapie zu verbessern. Als mögliche Nebenwirkungen werden unter anderem Thrombosen, verminderte Nierenfunktion und Gehirnödeme angegeben, marktfähig soll das Produkt erst 2007 sein. Zum jetzigen Zeitpunkt, so Baxter-Sprecher Frank Butschbacher zur Internetagentur Sport1.de, sei solch ein Medikament, „nicht von zehn Mäusen getestet“. Anders sieht es mit dem Epo-Nachfolger Hemopure aus, das in Südafrika bereits zugelassen ist und noch in diesem Jahr auf dem amerikanischen und europäischen Markt eingeführt werden soll.

Unterdessen gehen die Ermittlungen der italienischen Behörden weiter. In der kommenden Woche sollen jene beschlagnahmten Substanzen untersucht werden, die ohne Etikett gefunden wurden. Bislang sind, wie die Staatsanwaltschaft Florenz mitteilte, 86 Personen, bei denen die Polizei in San Remo fündig wurde, im Visier der Ermittler, darunter 60 Fahrer. Nicht unter den Verdächtigen: Marco Pantani, Mario Cipollini und Giro-Sieger Gilberto Simoni. Nur zwei Teams seien völlig sauber gewesen, davon ein nichtitalienisches. Das Räselraten ist eröffnet: Vier ausländische Mannschaften waren am Start, neben Team Telekom noch Banesto und Once aus Spanien sowie das französische Bonjour-Team.

Ganz nebenbei: In diesen Tagen erscheint in den USA „Deadroll“, der vierte Radsportkrimi von Greg Moody. Man darf gespannt sein. MATTI LIESKE