Irrtumsgeschichte

■ Gerd Koenen liest über „Das rote Jahrzehnt“

„Das rote Jahrzehnt“ beschreibt unsere kleine deutsche Kulturrevolution 1967 bis 1977, den ganzen „dramatischen Zyklus“, der mit den tödlichen Polizeikugeln auf den Studenten Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 begann und am 18. Oktober 1977 endete, als die RAF-Terroristen Baader, Ensslin und Raspe Selbstmord begingen. Mehrere Jahre lang hat der Frankfurter Historiker und Publizist Gerd Koenen, 56, gearbeitet, um das Material für eine zusammenhängende Darstellung des politischen Radikalismus der 70er Jahre zusammen zu tragen.

Was für ihn bleibt, ist die angebliche Freiheitsrevolte als Irrtumsgeschichte. Koenen ist betroffen von dem, wovon er spricht. Er war einst selbst Führungskader des „Kommunistischen Bundes Westdeutschland“ (KBW), dem er heute selbst das Siegel einer Sekte verpasst: „Scientologen der Weltrevolution“. Koenen 25 Jahre danach: „Im Nachhinein ist offenkundig, dass wir uns in der Zeit und der Gesellschaft, in der wir lebten, weitgehend vertan haben.“ „Koenens Buch gehört dem Genre der Abrechnungsliteratur an, mit allen ihren Stärken und Schwächen“, schrieb Christian Semler in der taz: „Warum ist Gerd Koenen eigentlich zum Maoisten geworden? Wir erfahren es nicht.“

Koenens Stärke liegt im Blick auf das Innenleben der K-Gruppen – das ist aber nur die eine Hälfte der Wahrheit. Da gab es doch einige gesellschaftliche Konflikte, in denen es wirklich um Freiheit und Befreiung ging, zwischen Vietnam und dem Paragrafen 218. „Außer dass sie Fahnen schwenkten, Bibelstunden abhielten und sich gegenseitig ausschlossen, hatten die Maoisten, unglaublich aber wahr, auch noch ein paar Kontakte zur Wirklichkeit“, erinnert Semler.

Nicht nur wegen der Fischer-Debatte ist die Auseinandersetzung mit den 70er Jahren aktuell. Koenen berichtet, wie er 1976 als gerade gestürzter „Rechtsabweichler“ zur Bewährung zur BASF nach Mannheim geschickt wurde. Oder von den drei „Musterhöfen“ des KBW, auf denen unter anderem „die Möglichkeit schnellwachsender Eiweißproduktion“ erforscht werden sollte. K.W.

„Das rote Jahrzehnt“, eine Lesung und Buchvorstellung mit Gerd Koenen, Freitag 20 Uhr, Galerie Rabus, Plantage 13