Manchmal ist der Konsens Nonsens

■ Erörterungsverfahren für das Zwischenlager beim AKW Esenshamm beginnt schleppend. Es soll kleiner werden. Protestler zweifeln Zuständigkeit des Bundes an

Vermummte in weißen Atomkraftwerkskitteln rotten sich vor der Markthalle in Rodenkirchen zusammen, Trecker brummen. 10 Uhr früh, der gelbe Castor-Dummie von Greenpeace und die Polizei sind da, das Gelände von schwarzgekleideten Wachleuten abgeriegelt. Fast 100 Zwischenlager-Gegner sind gekommen – grummelnd, viele mit Wut im Bauch, aber friedlich: Schließlich beginnt gleich drinnen in der Markthalle das große Schaulaufen um das AKW Esenshamm: 17.410 Einwendungen gegen das geplante Zwischenlager sind beim Bundesamt für Strahlenschutz angekommen – so viele wie für kein anderes der insgesamt 13 geplanten Zwischenlager in Deutschland. Also: Ist Trittins Atom-Konsens wirklich Nonsens?

Esenshamm soll am 6. September 2011 vom Netz gehen. Da aber ab 2005 nicht mehr wiederaufbereitet werden darf und ein Endlager für den deutschen Atomschrott in weiter Ferne liegt, muss schnellstens ein Zwischenlager für den strahlenden Atomschrott von der Weser her. 80 Meter lang, 27 breit, 23 Meter hoch soll es werden: ein Betonkoloss direkt neben der weißen AKW-Kugel, keine zwei Kilometer von Rodenkirchen entfernt.

Doch beim Erörterungstermin für diesen Baustein im Atomkonsens – Abschalten aller deutschen AKWs bis 2021 – geht es erst mal gar nicht los. Die Lager-Protestler murren „Farce“ und „kafkaesk“ und streiten sich stundenlang mit dem Verhandlungsleiter um Verfahrensfragen. Einer von der „Aktion Z“ beantragt „ein längeres Kabel“ fürs Mikro, jemand will Plakate in der Markthalle aufhängen. Ein anderer Einwender bittet darum, das Rauchen auch im Vorraum einzustellen, damit er „gesundheitlich nicht jetzt schon angegriffen wird.“

Da steht Karl-Heinz Kurtmann aus Loxstedt auf und geht ans Mikro: „Ich bin 70 Jahre jung und kein Chemiker“, sagt er und seine Stimme überschlägt sich langsam. „Aber mein Vater ist an Lungenkrebs gestorben. Wir haben hier früher auch Krebs gehabt, aber nicht so oft wie heute. Und unsere Milch, sollen wir die noch saufen? Und ich bitte Sie“, sagt er und schaut den Verhandlungsleiter Bruno Thomauske und den ganzen Saal mit großen Augen an, „jetzt endlich das Gewissen sprechen zu lassen. Und nicht das Geld!“

Der Erörterungstermin: Hier sollen sie „verhandelt“ werden, die Einwendungen mit den insgesamt 63 verschiedenen Punkten, um noch beim Bau des Lagers berücksichtigt zu werden – oder alles ganz zu kippen. Aber daran glaubt hier ernsthaft keiner. Oder doch? Dafür sind die Fronten klar: Im Publikum sitzen die „Aktion Z“, Greenpeace, BUND, Bauern, Bürgerbewegte, vorne auf dem Podium Verhandlungs-führer Thomauske, Stellvertreter, Juristen, Protokolanten, rechts daneben die Zwischenlager-Männer von E.on, links die Gutachter vom Bundesamt für Strahlenschutz, dem TÜV und dem Öko-Institut.

Nur die Bundesanstalt für Materialforschung (BAM) ist nicht da. Das bringt eine der „Speerspitzen“ der Gegner auf die Palme. Helmut Hirsch ist „Sachbeistand“ und Physiker. Er weiß jede Menge über Castoren. Hirsch hätte sich „gefreut“ – wie schon bei der Erörterung in Lingen – mit den Materialforschern zoffen zu dürfen. Diesmal wegen der „Japan-Castoren“, von denen in Zukunft 80 Stück an der Unterweser strahlen sollen – immerhin bis zu 30 Jahre lang. Hirsch: „Ähnliche haben sie bislang nur in Japan getestet, hier nie. Aber das ist schwer zu diskutieren, wenn die BAM nicht hier ist.“ Helga Rinsky von der „Aktion Z“ ist da deutlicher: „Da fühlen wir uns nicht besonders ernst genommen. Sie haben ohnehin fast alle unsere Anträge abgebügelt.“

Als geklärt ist, wer beim Erörterungstermin überhaupt dabei sein darf, geht es um 14 Uhr tatsächlich los. Die „Aktion Z“ steigt in die Vollen: Ihr Hamburger Anwalt Ulrich Wollenteit versucht, dem Verhandlungsführer klar machen, dass er gar nicht zuständig für das Zwischenlager ist. Der Punkt spielte schon bei den vorherigen Verfahren in Biblis und Neckarwestheim eine Rolle: Ist das Zwischenlager eine vom AKW getrennte Anlage oder gehört sie betrieblich dazu? Wäre sie das, wie die Protestler meinen, so wäre nicht der Bund, sondern das Land Niedersachsen für die Genehmigung zuständig. Helga Rinksy von der Aktion Z: „Dann müssten sie alles nochmal beantragen.“

Aber das wird wohl erst heute, am nächsten Tag des Erörterungstermins, nicht zu Ende diskutiert werden können. Beobachter rechnen insgesamt mit fünf Tagen Dauer. Immerhin haben die Betreiber selbst schon Konzessionen gemacht – ohne viel Protest: E.on kündigte an, das Zwischenlager nicht 40, sondern nur 30 Jahre zu benötigen. Außerdem sollen nicht mehr 1.000, sondern nur noch 800 Tonnen eingelagert werden.

ksc