Kein Bleiberecht für polnischen Punk

Seit einer Schlägerei auf einem S-Bahnhof ist Krystian W. schwerstbehindert. In Deutschland darf der Pole trotzdem nicht leben. Der Bauarbeiter Ronny K. ist wegen der Schlägerei erneut angeklagt. Rassistischer Hintergrund vermutet

Der linke Ärmel der schwarzen Lederjacke ist leer. Und in dem Springerstiefel mit den schwarzen Schnürsenkeln am linken Fuß steckt unter der Bundeswehrhose eine Beinprothese aus Plastik. Zum Gehen braucht Krystian W. eine Krücke. Wenn er rauchen will, zündet seine Mutter die Zigarette an. Dann greift der 26-Jährige mit der unverletzten rechten Hand danach. Blass und angespannt hört der polnische Punk zu, als der bündnisgrüne Abgeordnete Hartwig Berger verspricht, mit dem neuen Innensenator über eine Aufenthaltsgenehmigung in Berlin für ihn zu verhandeln. Denn legal darf sich Krystian W. nur noch bis zum 26. Juni in Berlin aufhalten. Dann soll der Berufungsprozess gegen seinen mutmaßlichen Angreifer, den deutschen Bauarbeiter Ronny K., vor dem Landgericht Berlin abgeschlossen sein.

Im Juli 1999 wurde Krystian W. bei einer Prügelei mit Ronny K. auf dem S-Bahnhof Greifswalder Straße von einer fahrenden S-Bahn überrollt. Er lag wochenlang im Koma, sein linker Arm und das linke Bein mussten amputiert werden. Seine Freunde hatten unmittelbar nach dem Vorfall ausgesagt, Ronny K. und dessen Bauarbeiterkollegen hätten Krystian W. und die ihn begleitenden Punks mit rassistischen Sprüchen beleidigt. Im November letzten Jahres wurde Ronny K. in erster Instanz jedoch vom Vorwurf der schweren Körperverletzung freigesprochen. Damals hatte das Amtsgericht Tiergarten widersprüchliche Zeugenaussagen darüber, ob Ronny K. oder Krystian W. den Streit angezettelt hatten, zugunsten des Angeklagten gewertet. Auch Ronny K.s Aussage, der polnische Punk habe „irgendwie das Gleichgewicht verloren“ hielt das erstinstanzliche Gericht für glaubwürdig. Die Gesinnung des Bauarbeiters, der als Schläger polizeibekannt ist, kam damals kaum zur Sprache. Der 25-Jährige hatte sich vor dem Prozess ein Hakenkreuztatoo entfernen lassen und wird von Wolfgang Nahrath, dem letzten Vorsitzenden der verbotenen Neonazigruppierung „Wiking Jugend“, verteidigt.

Krystian W.s Erinnerungen an die Tat wurden im vergangenen Jahr nicht gehört. Zwei Tage vor Prozessbeginn hatte ihn die Polizei in Berlin verhaftet und trotz seiner Zeugenladung wegen „illegalen Aufenthalts“ sofort nach Polen abgeschoben. Erst nach längerer Suche gelang es dem Polnischen Sozialrat, dort Kontakt zu ihm aufzunehmen. Eine Entschädigungszahlung nach dem Opferentschädigungsgesetz erhält der Schwerstbehinderte nicht. Dabei reichen die umgerechnet 500 Mark, mit denen Mutter und Sohn auskommen müssen, kaum, um die Schmerzmittel für Krystian W. zu bezahlen. Hilfe erhielt der Punk bisher vor allem vom Polnischen Sozialrat, der rund 3.000 Mark sammelte, und den französischen „Ärzten ohne Grenzen“. Sie finanzierten die Beinprothese und luden ihn zur Anpassung nach Paris ein.

Von dem Berufungsprozess erhofft sich Krystian W. vor allem „Gerechtigkeit“. Vor Gericht hat er Ronny K. als denjenigen identifiziert, der ihn auf die S-Bahn-Gleise stieß. Doch die Zeugenaussagen blieben auch jetzt widersprüchlich, und Ronny K. schweigt. Wird er erneut freigesprochen, erhält Krystian W. weiterhin keine Opferrente.

Vor allem aber wünscht sich Krystian W., wieder in Berlin leben zu können. Seine Mutter, deren Tante von den Nationalsozialisten in Dachau ermordet wurde, hat sich damit abgefunden. Beide hoffen, dass die Forderung der Bündnisgrünen nach einem Bleiberecht für Opfer rassistischer und rechtsextremer Übergriffe bei dem SPD-Koalitionspartner Gehör findet. Dann wäre Krystian W. ein Präzendezfall.

HEIKE KLEFFNER

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