Gott würde kotzen

Der letzte Zufluchtsort in einer unter der Christenplage leidenden Kirchentagsstadt

Das Rad ist ab, Gottes Schäfchen drehen durch und führen dickes Geld und dicke Eier zusammen

Es kommt heutzutage und zu Frankfurt am Main definitiv und eschatologisch jeder Dreck zu jedem denkbaren Schmutz. „Nena lässt 1.000 Luftballons steigen“, meldete noch zurückhaltend die Frankfurter Rundschau im Vorfeld des 29. Deutschen Evangelischen Kirchentages, um dann alle Zügel schleifen und den Gaul zusammen mit dem gesamtdeutschen Christentum durchpreschen zu lassen.

Was man in der einstigen Metropole der kritischen Sozialwissenschaften wegen einigen hunderttausend Armleuchtern anrichtet, sprengt jeglichen Rahmen der landläufigen Vernunft. Ein „Titanenwerk an Papphockern, Telephonen und Kopiergeräten“ sah die FR begeistert heraufdämmern, um nicht zu vergessen: „In der Stabsstelle für den Kirchentag brummt das Leben“. Das bedeutet zum Beispiel: „Auf dem Lohrberg“, dem gewöhnlich herrlich verlenzten Park oberhalb der Stadt, „Non-Stop-Gebete“.

Das Rad ist ab, Gottes Schäfchen drehen durch. „80.000 Schals dienen als Symbol“, als massenstarkes „Zeichen gegen Gewalt“, und das „Gute-Nacht-Café sorgt für gemütliche Stimmung“. Bei der lässt sich allerhand aushalten. Während „am Kirchentag hausgemachte Marmelade aufs Brot geschmiert wird“, röhren die „Psalmen zu Jazzrhythmen und die Sintflut im Musical“. Gefickt aber wird nicht. Bewahre. Es gibt Wichtigeres. Zwei Dinge, die zusammenpassen oder eben auch nicht und dann wieder doch: Dreistigkeit und Dummheit, Konto und Kirche, dickes Geld und dicke Eier. Letztere gaben und geben, abseits der „27 Bühnen für Tanz, Gesang, Talk und Gebet“, Anlass zu: „Diskussionen“.

Existierte ein Gott, längst spie er sich die Kutte voll. Nicht dass er verzweifelte über dem Podium „Die Biochemie Gottes – Bereits in der menschlichen Gehirnstruktur ist die Fähigkeit zum spirituellen Erleben angelegt“, er würgte und würgte angesichts der puren und reinen Geistverseuchung, die er zu konstatieren nicht umhinkäme. Wir sprechen nicht von den dem grunzblöden Motto „Glauben, Gentechnik, Globalisierung“ verpflichteten Veranstaltungen „Glaube, Geld und Gentechnik“, „Projekt Jugend-Kultur-Kirche“, „Von der Lust, ein Christ zu sein“, „Banken und Bordelle“ oder dem wagnerianisch weltenwahnsinnigen Forum „Geld und Ethik auf weitem Raum“, jenem Fontanefeld, auf dem die Tête-à-tête-Arschgesichter Gauck und Deutsche-Bank-TV-Volkswirt Walter rumjammeln – nein, man reibt sich an einem Happening, das im Rahmen der dringend erforderlichen „Mission Kunst“ Debatten auslöste, wie sie der Vatikan nicht hergebracht hätte.

Ein so genannter Künstler omentlich namens Manfred Stumpf schuf zwölf „aufblasbare“ Christusfiguren und „Super-Rio-Gipfelkreuze“, welche vornehmlich die Dächer der Frankfurter Bankentürme armwedelnd besiedeln, um neben den Insignien des „Geldes“ (die Kirche) irgendwelche Besinnungen zum Thema „Globalisierung“ kraftvoll skulptural anzuschieben. Die Gottessöhne fächeln sich keinen von der Palme, sondern winken den Heiligen Geist herein in die Moneycity. Wo indes kein Geist, da eine Auseinandersetzung. „Viele Vorstellungen“, so der Urheber, könnten „sich in dem einen Ding treffen“. Das Ding ist der Hammer. Kirchentagspräsident Peter Steinacker übte „sanften Druck“ aus, die Klöten Jesu zu minimieren. Neben dem Deutsche-Bank-Emblem dürfe kein Ständer prangen. Die „Beulen im Genitalbereich“ ersetzten deshalb lächerliche Schwanensee-Suspensorien, und nun glänzen Gottes Kotzkörper silbern am Frankfurter Firmament der Heuchler und evangelischen Geldhuren.

Es ist „zum Erbrechen“ (Karl Kraus). Was ein nahezu Wunder, dass am selben delirierenden Ort im Historischen Museum unter dem Titel „Unsern täglich Witz gib uns heute“ die letztverbliebenen Vernunftbegabten Bilder zeigen, die wir in unseren Hausschatz aufnehmen – als Antidot zum obszönen Deppentum. Mehr: Wer die Gemächer betritt, sinkt auf die Knie und scheuert sich vor andächtiger Verehrung die Ellbogen wund: vor Ernst Kahls unsterblichem Ölbild „Jesus zeigt Lenin seine Wundmale“, vor F. W. Bernsteins und Rudi Hurzlmeiers Höllenhimmelactionfries, vor Rattelschnecks Minimalmaximalheuristik, vor Eugen Egners Teufelshooliganeske, vor Greser & Lenz’ fröhlich diabolischer Leberzirrhoseagnostik, vor F. K. Waechters Stripartistik und dem unerreichten Wolfgang Herrndorf, der Jesus die Rolle des Türstoppers auf den geschundenen Bodybuilderleidensleib malt. Um erleuchtet und frei nach Robert Gernhardt zu schließen: „Wo dieser Text zuende ist, / da lauert schon der Kolumnist.“ Bzw. „Kommunist“ (E. Kahl).

JÜRGEN ROTH

„Unsern täglichen Witz gib uns heute“; bis 12. 8. 2001, Historisches Museum Frankfurt am Main. Das Buch zur Ausstellung ist erschienen bei Kein & Aber, Zürich 2001 und kostet 39,80 Mark