Die neuen Paten von Berlin

Die Bundeszentralen der Parteien übernehmen die Regie in der Hauptstadtpolitik: Geräuschlos und raffiniert bei der SPD, rücksichtslos bei der CDU

aus Berlin RALPH BOLLMANN

Interessant an der Nachricht war vor allem die Quelle. „Nach tagelangem Zögern hat sich die CDU für schnellstmögliche Neuwahlen in Berlin ausgesprochen“, meldeten die Agenturen am Montag. Und dann: „Das sagte CDU-Chefin Angela Merkel nach der Sitzung.“ Damit war klar: Die Bundespartei hatte den Berliner Dilettanten um den scheidenden Bürgermeister Eberhard Diepgen das Heft aus der Hand genommen.

Bei der SPD kann Generalsekretär Franz Müntefering auf derlei schrille Töne verzichten. Es genügt, wenn er mit wohlwollenden Worten die Talkshow-Karriere seines Schützlings Klaus Wowereit begleitet, der morgen zum Diepgen-Nachfolger gewählt werden soll. Schon im vergangenen Jahr, als ein konkreter Wahltermin noch gar nicht absehbar war, hat die SPD-Bundeszentrale die Berliner Weichen bemerkenswert geräuschlos in Richtung eines möglichen Regierungswechsels gestellt – und den Fraktionsvorsitzenden Wowereit als Lokführer ausgesucht.

Das Elend der Provinzpolitik

Seit Berlins große Koalition vor einer Woche zerbrach, ist die Hauptstadt zum Feld bundespolitischer Kämpfe geworden. Knapp zwei Jahre nach dem Regierungsumzug hat die Landespolitik ihre störrisch behauptete Eigenständigkeit eingebüßt. Vorbei die Zeiten, da Diepgen der Grundsteinlegung für das nationale Holocaust-Mahnmal trotzig fernblieb oder seinen Weggefährten Klaus Landowsky gegen die „Bundesschlaumeier“ wettern ließ.

Die Berliner Koalitionskrise gibt den Bundesspitzen der Parteien die ersehnte Gelegenheit, ihre Berliner Landesverbände personell wie programmatisch endlich auf Trab zu bringen. Über das Elend der Provinzpolitik waren die Umzügler aus allen Parteien entsetzt – die CDU verfilzt, die SPD zerstritten, die Grünen ermattet, die PDS profillos, die FDP gar nicht mehr existent.

Nur zu gern hätten die Parteizentralen gehandelt. In der Vergangenheit aber provozierten autoritäre Eingriffe von oben allenfalls Trotzreaktionen. Prominentes Personal von außen wird entweder von den eigenen Parteifreunden demontiert, wie einst die früheren Bundesminister Hans-Jochen Vogel und Hans Apel in Berlin, oder die Wähler bestrafen die Landverschickung der Politprominenz mit Stimmenentzug: Gegen das niedersächsische Eigengewächs Gerhard Schröder konnte Rita Süssmuth 1990 ebensowenig ausrichten wie Klaus Töpfer im gleichen Jahr im Saarland gegen Oskar Lafontaine.

Deshalb wendet SPD-Chef Schröder subtilere Methoden an. Wie schon bei Ute Vogt in Baden-Württemberg unterstützte er auch in Berlin eine geeignete Person aus dem vorhandenen Personal. Das Augenmerk liegt dabei weniger auf politischen Positionen als auf medialer Wirkung: Sieht der Kandidat gut aus? Weiß er sich zu kleiden? Kann er in Talkshows flüssig reden?

Seinen Favoriten versucht Schröder niemals so brachial durchzudrücken, dass er damit Widerstände im jeweiligen Landesverband hervorrufen könnte. Mit dem scheinbar zufällig entstandenen Gerücht, die Bundespartei wolle den damaligen Kulturminister Michael Naumann ins nächste Berliner Rennen schicken, demontierte Schröder zunächst den SPD-Landeschef Peter Strieder. Wenig später, im Sommer vorigen Jahres, erschien der Kanzler als vermeintlicher Überraschungsgast auf einem Pressefest, das Fraktionschef Wowereit eigens arrangiert hatte. Gemeinsam mit seinem Favoriten präsentierte sich Schröder den Fotografen. Mehr noch: Er sprach sich indirekt für eine Wiederwahl des angeschlagenen Strieder zum örtlichen Parteivorsitzenden aus. Strieder blieb im Amt – doch er, der sich schon selbst als Diepgen-Nachfolger sah, war fortan ein Parteivorsitzender von Wowereits Gnaden.

Die CDU hat es schwerer. Weder die Vorsitzende Angela Merkel noch sonst jemand in der Bundespartei hat die Autorität, die Parteifreunde geräuschlos auf Kurs zu bringen. Im Bund wie im Land ist die Union in der Defensive. Die Christdemokraten machen eine Phase durch, wie sie die Berliner Sozialdemokraten in den langen Jahren ihres Niedergangs erleiden mussten: Ist der Erfolg ohnehin in weite Ferne gerückt, dann muss auch niemand mehr Rücksichten nehmen.

Schon die Tatsache, dass Merkel den Noch-Bürgermeister öffentlich in die Schranken weisen musste, war ein Eingeständnis der Hilflosigkeit. „Rat und Hilfe“ hat die Parteivorsitzende den Berlinern angeboten: Darin steckte kaum verhüllt der Vorwurf, die Parteifreunde hätten Rat und Hilfe bitter nötig.

Der Zwist in der Union

Inzwischen scheint klar zu sein: Diepgen tritt nicht mehr an. Doch damit hat sich der Erneuerungskurs, den die Parteivorsitzende den Berlinern verordnen möchte, noch lange nicht durchgesetzt. Die Extreme, die bundesweit von den Ministerpräsidenten Roland Koch und Peter Müller markiert werden, finden ihre Verkörperung jetzt auch im Berliner Landesverband, der in den Richtungskämpfen der Bundespartei bislang keinerlei Rolle spielte. Fraktionschef Frank Steffel will die CDU-Krise einfach aussitzen – wie Koch in Hessen. Finanzsenator Peter Kurth hingegen setzt auf den liberalen Kurs des Saarländers Müller und der Parteichefin Merkel. Im vergangenen Jahr hatte er, anders als Diepgen, Merkels Wahl an die Parteispitze begrüßt.

Konfliktträchtig ist das Verhältnis zwischen Bundes- und Landespartei auch bei den Grünen. Vergeblich hatte die heutige Verbraucherschutzministerin Renate Künast einst als Berliner Fraktionsvorsitzende versucht, ihre örtlichen Parteifreunde auf Metropolenkurs zu bringen. Sie schaffte es nicht, und der Schwabe Cem Özdemir will es nicht einmal versuchen: Gestern ließ er wissen, dass er als Berliner Spitzenkandidat nicht zur Verfügung steht. Schon die Worte, in denen seine Kandidatur an der Spree diskutiert wurde, waren verräterisch: Özdemir solle „eingeflogen“ werden, hieß es im Landesverband. Dabei lebt der Politiker seit fast zwei Jahren in Berlin.

Bei der PDS spielt der Berliner Landesverband nach Mitglieder- und Stimmenzahlen zwar eine überragende Rolle. Doch im lokalen Personaltableau spiegelt sich dieser Glanz nicht wieder. Ausgerechnet ein Westberliner, der Fraktionsvorsitzende Harald Wolf, konnte sich als einziger Landespolitiker profilieren – mit dem Plädoyer für eine strikte Sparpolitik à la Hans Eichel. Auch deshalb hoffen die Berliner Genossen so inständig, dass sich der Bundestagsabgeordnete Gregor Gysi doch noch zu einer Kandidatur bereit erklärt.

Ganz leicht hat es die FDP: Weil sie im Landesparlament gar nicht mehr vertreten ist, besteht die Berliner Partei praktisch nur aus ihrem einzigen Bundestagsabgeordneten, dem früheren Wirtschaftsminister Günter Rexrodt. Kein Wunder, dass er als erster Rufer nach Neuwahlen auftreten und mit der PDS gemeinsame Sache machen konnte: Er musste sich nicht mit renitenten Lokalpolitikern abstimmen.

Das wäre auch den anderen Parteien am liebsten gewesen.