Zwei Kleider

Warum lesbische Paare heute aussehen wie ihre heterosexuellen Nachbarn

von VIOLA ROGGENKAMP

Wieder die alljährliche langweilige Veranstaltung zum Christopher Street Day: Lesben und Schwule, fast nackt, bekleidet nur mit Handschellen oder Federboas, paradieren durch die Straßen. Das Fernsehen überträgt es auch schon im zweiten oder dritten Jahr. Ein Veteranenumzug ohne historisches Bewusstsein. Eine spießig-obszöne Klamotte. Wie Karneval oder Love Parade. In den Nachrichten, vor der Wetterkarte, wird es einen sachlichen Hinweis darauf geben. Auch deshalb, weil sich inzwischen PolitikerInnen an die Spitze dieser Paraden setzen. So weit ist es gekommen.

Dass homosexuell lebenden Menschen in Deutschland ein wesentlicher Teil der bürgerlichen Grundrechte vorenthalten wird, scheinen vor allem Homosexuelle für nicht so wichtig zu erachten. Sie wollen gesehen werden, das ist ihnen wichtiger und Anerkennung genug.

Was aber tun sie denn, um gesehen zu werden? Nichts. Im Gegenteil. Gerade zum Christopher Street Day ziehen sie sich aus, behängen sich mit Flitter und Hundeleinen und könnten damit in jedem heterosexuellen Bumslokal von Wanne-Eickel bis Elmshorn unauffällig auftreten.

Kein Mensch wird erkennen können, auch am Bildschirm nicht, wer dort auf den Straßen von Berlin, Hamburg, Köln oder Leipzig mit Peitschen knallt und mit Straußenfedern wedelt: Lehrerinnen und Finanzbeamte, Krankenschwestern und Bäcker, Pastorinnen und Briefträger, Sekretärinnen und Bademeister, Fernsehansager und Zugbegleiterinnen der Deutschen Bundesbahn. Wenn sie doch einmal zu diesem CSD-Umzug sich nicht aus- oder umzögen, sondern so gingen, wie sie sich in ihrem beruflichen Alltag zeigen. So gegenwärtig. So ernst. So viele. So mutig.

Dass nur wenige lesbische Frauen es wagten, in Anzug und Krawatte in die Frauenbar oder gar auf die Straße zu gehen, das war vor dreißig Jahren. Damals erschien die Kassiererin vom Seifenhaus „Schneeweiß“ in Hamburg im selben grauen Faltenrock, mit demselben rosa Dralon-Twinset bekleidet abends in den Ika-Stuben, wie sie tagsüber im Laden gestanden hatte, und forderte andere Frauen zum Tanzen auf, auch heterosexuelle Frauen, in deren Begleitung Männer hatten hereinkommen dürfen.

Heute sehen lesbische Paare aus wie ihre heterosexuellen Nachbarn. Butch und Femme: Die eine mit Stoppelhaar, Bierflasche und Lederschlips, die andere im Ledertanga mit Minirock und Korsage. Wie Vati und Mutti eingekleidet nach dem Quelle-Katalog.

Der eigentliche Skandal in der lesbischen Welt – genauso wie in der heterosexuellen – bleibt nach wie vor das Frauenpaar im Kleid. Undenkbar. Die heterosexuelle Welt tut zwanghaft so, als könne da gar nichts Sexuelles passieren, und die lesbische Welt schleudert ihren Mutterhass gegen dieses Schreckbild. Zwei Kleider zusammen? Unmöglich! Wenigstens ein Paar Hosen muss sein.

Die Diskriminierung von Weiblichkeit in der Männergesellschaft scheint keine Frau so verinnerlicht zu haben wie die lesbische Frau. Folgerichtig findet als emanzipatorischer Akt paarweise eine lesbische Zwangsheterosexualisierung statt, und zwar freiwillig, ein Sicheinrüsten in das geschlechtsspezifische Rollenklischee, eine Unterwerfung mit begehrlicher Begeisterung.

Frau macht sich zum Mann, nicht nur durch Kleidung, Schminke und falschen Bart; heutzutage in der Female-to-Male-Bewegung ist daraus ein täglicher Umgang mit Chemie geworden. Modeschöpferin Donna Karan präsentiert auf internationalen Laufstegen Drag-Kings in ihrer neuesten Herrenmode. Frauen spitzen sich Testosteron. Kein operativer Eingriff. Eher eine Art Drogenkonsum für die Grenzüberschreitung zwischen den beiden Geschlechtern, von der lieben Schönen zum zottigen, zotigen Biest. Die Schöne und das Biest? Damit waren doch schon immer zwei Frauen gemeint.

Manches kommt neuerdings zusammen. In der Genforschung glauben Männer, kurz davor zu sein, endlich ihr eigenes Ei legen zu können. Gleichwohl dürfen Frauen nicht abtreiben, wenn sie wollen. In der feministischen Sexualforschung und in den letzten Bastionen der Frauenbewegung wird die Erlösung vom Geschlechtsunterschied verkündet. Alle Menschen seien gleich. Ein neuer Sozialismus. Mit der Vereinheitlichung der Geschlechter ist die Vernichtung der Weiblichkeit verbunden, die Auslöschung dieser spezifischen Qualität und Potenz. Weniger die Vernichtung von Männlichkeit. Das hängt zusammen mit der mangelnden Selbstachtung von Frauen und dem Frauenhass von Männern.

Die Maskierung, Maskulinisierung und Eliminierung der Frau ist uns vertraut aus der Sprache. Geschlechterwirrwarr, gender trouble oder auch cross-dressing ist in Wort und Schrift alltägliche Praxis: „Name des Patienten“ steht auf der Abrechnung für die gynäkologische Untersuchung am Eierstock. Selbst in ihren ureigensten Regionen wird die Frau zum Mann, wenn das praktisch erscheint, um ein paar Buchstaben zu sparen.

In Zeiten, in denen sich Sexismus, Antisemitismus, Rassismus, Krieg durch soziale Verelendung und Verödung zwischen Menschen verschärfen, wächst die Sehnsucht nach Einheit, nach einem faschistischen Heil. Auch der nationalsozialistische Herrenmensch verstand sich eingeschlechtlich, eine höchst sexistische Ideologie, die zur Differenz die Rasse erhob.

Nicht im Unisex, sondern im spielerischen Grenzübertritt zwischen den Geschlechtern, ihren Rollen, im vertauschenden Spiel der weiblich-männlichen Körperlichkeit liegt die Chance zur Auflösung von Ängsten vor dem, was anders ist als das Eigene. Aber einen Grenzübertritt ohne Differenz gibt es nicht. Die Verleugnung von Weiblichkeit und Männlichkeit ist die Akzeptanz und das Einverständnis zur Diskriminierung der Frau, letztlich zur Vernichtung von Weiblichkeit. Die geschlechtliche Differenz zwischen Frau und Mann zu leugnen vernichtet in aller Konsequenz auch Homosexualität.

Ich möchte meinen Überlegungen eine These von Judith Butler gegenüberstellen. Die amerikanische Gendertheoretikerin sieht übrigens auch nicht mehr aus, wie sie mal aussah, stoppelhaarig in kariertem Farmerhemd und Jeans. Seitdem sie Professorin an der Universität Berkeley ist, sieht sie nach mehr Lebensqualität aus und dadurch, frau lese und staune: weiblicher. Jedenfalls sah sie so aus, als sie das letzte Mal vor etwa drei Jahren in Berlin referierte.

Judith Butler sagt, heterosexuelle Identität sei Imitation eines phantasmagorischen Ideals, eine als Original im Sinne von „richtig“ festgelegte Vorstellung darüber, was „Frau“, was „Mann“ sei, und dieses so genannte Original sei Grundlage aller Imitationen in endloser Wiederholung. Diese Wiederholungen brauche es, um sich als Original zu bestätigen. „Wenn es also die Vorstellung der Homosexualität als Kopie nicht gäbe, dann hätten wir auch keine Konstruktion von Heterosexualität als Original.“ Wunderbar gedacht. Was ist das Original, und was ist origineller als das Original? Wir wissen es nicht, und es ist auch völlig unwichtig. Homosexualität wie Heterosexualität gehören zur menschlichen Entwicklung, und beides war immer da. Butler folgert daraus: „Der parodistische oder imitative Effekt lesbischer und schwuler Identitäten bewirkt weder die Kopie noch die Nachahmung der Heterosexualität, sondern vielmehr ihre Bloßstellung als unaufhörliche und überstürzte Imitation ihrer eigenen naturalisierten Idealisierung.“

Das wäre eine Möglichkeit. Eine andere Möglichkeit wäre: In dem lesbischen Paar Butch/Femme wird nicht die Idealisierung der Heterosexualität parodiert, wie Judith Butler glaubt, sondern im Gegenteil das heterosexuelle Tabu der Homosexualität der Frau bestätigt und sich ihm durch äußerliche Merkmale unterworfen. Was einerseits provokant ist, die Vereinnahmung männlicher Attribute durch die Frau (Krawatte, Pfeife, Revolver), ist andererseits die Akzeptanz des Tabus. Dieses Lesbenpaar sieht irgendwie heterosexuell aus, zumindest von hinten. Die Femme ist das Superweib. Die Butch ist besser als das, was sie nicht ist – der abwesende Mann. Ein lesbisches Heteropaar, ein heterosexuelles Lesbenpaar, das die patriarchale Frauenphobie, die Unterdrückung von Weiblichkeit, verinnerlicht zu haben scheint.

Inszeniert wird lesbische Frauenphobie in der lesbischen SM-Kultur. Die bildhaft dargestellten Fantasien kreisen nahezu ausnahmslos um die Demütigung und Zerstörung der Frau durch die männliche, patriarchalische, tyrannische Lesbe. Krista Beinstein, eine bekannte Künstlerin lesbischer SM-Performance, macht in ihren arrangierten Bilderszenen deutlich, dass es dabei auch um das Mutter-Tochter-Paar geht. Diese ursprüngliche Liebesbeziehung aller Frauen ist im Patriarchat homophobisch besetzt. Frau und Mann haben den Mann zu lieben und zu ehren.

Befolgt dieses Gebot auch die Lesbe, die sich männlich kleidet? Es gibt ja keine lesbische Parodie des Mannes, vergleichbar der Tunte. Wahrscheinlich, weil es keinen weiblichen Vaterhass gibt, vergleichbar dem männlichen Mutterhass. Wieso steigt die Lesbe in Männersachen? Will sie ihn berauben? Kastrieren?

Wenn die lesbische Frau sich maskulin kleide, sagt Teresa de Lauretis, ebenfalls eine wichtige Gendertheoretikerin, dann nicht, weil sie geschlechtlich, körperlich ein Mann sein wolle, sondern weil sie damit sich selbst und andere (Frauen und Männern) ihr Begehren nach der Frau signalisiere. Lauretis fragt: Kann es überhaupt „eine nichtheterosexuelle Form lesbischen Begehrens“ geben? – Darf es sie geben?

VIOLA ROGGENKAMP, 53, lebt als freie Journalistin in Hamburg