Verliebtheit gegen's Spießertum

■ „Fiege – Ein Stück ohne Geilheit“ beim Junge-Hunde-Festival auf Kampnagel

„Endlich wird im Theater wieder eine Geschichte erzählt“, sagt eine Zuschauerin nach der Premiere. Fiege – Ein Stück ohne Geilheit vom Schweizer/Österreicher Autoren- und Regieteam Andreas Sauter und Bernhard Studlar hat eine chronologische Handlung mit wiedererkennbaren Figuren, die auch noch Namen tragen. Diese altmodischen Ingredenzien funktionieren bei Fiege bestens, und zwar auf rührend-sympathische Weise.

Die elektronische Musik und der DJ Der Matador (Gilbert Handler) sind noch von heute. Doch die Geschichte vom Patentamtsangestellten Fiege, dessen eingefahrener Lebensstil sich plötzlich radikal ändert, weil ihn die Liebe beschwingt, könnte glatt aus den 20er-Jahren stammen. So hyperkorrekt, so gehemmt wie Fiege (Niklaus Talman) sind nur noch wenige.

Er trägt stets Anzug und Hut, schaut stumpf wie ein Automat und läuft in abgezirkelten Bahnen immer dieselben Wege: von zu Hause ins Stehcafé, wo er sich jeden Morgen zum Frühstück mit seiner Schwester Carla (in allen Frauenrollen prima: Rebecca Klingenberg) trifft, dann ins Patentamt, wo er mittags mit Kollege Mautner (Andreas Sauter) isst und nach Dienstschluss je nach Wochentag entweder in den Zoo, die Reinigung oder das Schwimmbad geht. Danach kurz zu Nachbarin Fräulein Wiskowiak, die ihm ein Tablett mit dem Abendessen überreicht, das er allein zu Hause verspeist.

Spießiger gehts nicht mehr. Doch als Fräulein Wiskowiak ihn eines Abends zu sich nach Hause zum Essen einlädt, blüht Fiege auf. Niklaus Talman zeigt augenfällig alle Stadien des Sich-Verliebens – und aus der altmodisch anmutenden Handlung wird eine zeitlose. Dieses Dauergrinsen im Gesicht, die plötzlich saloppe Haltung, die seltsamen Träume von Pinguinen, mit denen er fliegen will. Passend zum Leitmotiv des Aufblühens hat Doris Geml Raum und Kostüme mit Blumenmustern geschmückt, aber nichts ist zu dick aufgetragen.

Liebevoll im Detail ist diese ganze Inszenierung. Selbst Fiege wird einem sympathisch – und natürlich Fräulein Wiskowiak, die Rebecca Klingenberg mit so beredten Bli-cken und Gesten ausstattet, dass Worte überflüssig sind. Ein wirklich reizender Abend. Karin Liebe

heute, 21 Uhr, Kampnagel, k6