Mehr Kitt als Schnitt

■ Zum Hauptstadt-Wahn: Stefan Wirner liest aus seinem Cut-up-Text „Berlin Hardcore“

„Das Engagement der Cut-up-Autoren besteht darin, zur Aufhellung der neuen Bewusstseinslagen des elektronischen Zeitalters beizutragen und die massiven Zwangsmaßnahmen einer offiziellen 'Information' & Literatur in Frage zu stellen.“ Der dies schrieb, wandte seinerzeit die in den USA entstandene Methode des Cut-up im deutschsprachigen Raum an. Sein Name ist Carl Weissner, der Text stammt aus dem 1969 erschienenen Sammelband Cut up.

Dass jenes Engagement heute aktueller denn je ist, sucht der Berliner Autor Stefan Wirner jetzt schon mit seinem zweiten Buch unter Beweis zu stellen, aus dem er Sonnabend im Butt Club lesen wird. Ähnlich wie William S. Burroughs montiert er in Installation Sieg und Berlin Hardcore seine Texte aus einzelnen Teilen zusammen. Nur dass der 1966 geborene Wirner nun wirklich nicht eine Zeile hinzufügt. Beide Texte sind ausschließlich aus Zitaten verschiedener Zeitungen und Magazine zusammengesetzt.

Mit Installation Sieg gelang es Wirner, der Printmedien-Landschaft durch die Entwendung von zur Zeit des Kosovokriegs erschienenen Artikeln – eine raffinierte Montage von Deutschland-Lobliedern und Kriegseuphorismen –, die humanitäre Maske entschieden vom Gesicht zu reißen. Wirner versteht seine Bücher, in denen die Zitate nie ausgewiesen sind, auf jeden Fall als literarische Texte und nicht so sehr als politische Analysen – auch wenn, oder gerade weil, er sich entschieden als Teil einer aktivistischen Gegenkultur versteht.

In Berlin Hardcore hat Wirner nun Textschnipsel zum Mythos „Berliner Republik“ montiert, aus Spiegel, Zeit, FAZ, Berliner Zeitung und tageszeitung, um nur eine wenige zu nennen. Ganz ohne Kommentar schlägt er seinen LeserInnen oder ZuhörerInnen bei der zusammengestellten Lektüre den ganze Irrsinn deutschen Hauptstadt-Geseires um die Ohren. Eine politische Analyse müsste sich der Unterschiede und Brüche innerhalb der deutschen Presse-Landschaft annehmen, die nach einer neuen nationalen Narration erst sucht. Der Literatur-Autor hat sich hier zuständig gefühlt für die vorwegnehmende Verdichtung, die den unwillkürlichen Würgereiz, wie er sich schon beim bloßen Hinsehen ergibt, in eine katastrophistische Stimmung verwandeln könnte.

Christiane Müller-Lobeck

Sonnabend, Uhr, Butt Club, Hafenstr. 126