Köchelnder Simpelgott

Wiebke Puls' „Messe“ im Schauspielhaus  ■ Von Petra Schellen

Es ist wie in der Achterbahn: Mit Schwung wird man in die Kurven gedrückt, per Gravitation aus der Bahn geworfen – und bleibt beklommen zurück: Auf dem Pfad zwischen Ernst und Parodie, zwischen Originalliturgie und karikiertem Bekennertum bewegt sich das Stück Messe von Wiebke Puls, das nicht zufällig an Fronleichnam uraufgeführt wurde. Aber dies ist nur ein atmosphärisches Detail der Inszenierung auf der Hinterbühne des Schauspielhauses, die in einer weißen Zirkusarena-Apsis unter technikbewehrter Planetariumskuppel spielt.

„Am Anfang war das Wort“ krächzt alsbald eine Stimme auf die Meute hernieder, „und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“ Stille. Licht blendet auf, taucht die Szenerie in Rot. Wie Angeklagte sitzen die Schauspieler am runden Tisch im Zentrum; ihr Dompteur ist während der korrekt katholisch-liturgischen „Messe“ Martin Pawlowsky als Engel für Geschichtliches, der mal diesen, mal jene antippt, während alle elf gespenstische Phrasen raunen. „Mich kann nur die Hölle befreien“, lautet das Mantra der Totengeist-Imitate – aber dies ist nur die Einleitung zu dem Spektakel, das sich zwischen Szenencollage und Musical bewegt.

Gott höchstselbst nämlich steht als burschikoser Koch (Thomas Kügel) in der Mitte, der Bonsai auf Bonsai hervorholt („Er schuf die Pflanzen“), Wunderkerzen entzündet („Es ward Licht“), sich per Sofortbild-Kamera ablichtet und sein Bildnis an die Wand pappt: „Und Gott sah, dass es gut war.“

Weniger lustig sind die Geschichten der Geladenen: Da ist Eva, die von ihrem unehelichen Kind erzählt, Kai Neuntöter, der seinen Bruder gemeuchelt hat, „weil der sonst so ein mieses Stück Scheiße geworden wäre“ und die Frau, deren Künstlervater sie für ein Gemälde opfern wollte.

Lächerlich wirkt, was die Figuren fomulieren, egozentrisch auf die eigene Story konzentriert, die doch imAllgemeingeschwätz untergeht – ganz abgesehen davon, dass die Geschichten irrelevante Details offenbaren. „Hört auf mit dem Scheiß, hier wird man ja mit unverdautem Glaubensbrei zugeschüttet“, schreit dann irgendeiner – und alle erstarren, um ein beseeltes „Halleluja“ anzustimmen.

Was soll man also anfangen mit dieser Mischung aus feierlich zelebriertem Abendmahl, Gesangsbuch-Credi, Björk-, Sinnead-O'Connor-Songs und lächerlichen Statements? Den Glauben endgültig als antiquierte Oberpeinlichkeit des Jahrtausends akzeptieren? Oder verbirgt sich hinter diesem lockeren Umgang mit den religiösen Riten eine echte innere Freiheit im Umgang „mit einem der letzten Tabuthemen unserer Gesellschaft“, wie Puls es ausdrückt?

Schon möglich, denn dieses Stück schafft es, den Exhibitionismuscharakter jedes Bekenntnisses vorzuführen, ohne die Existenz der Inhalte anzuzweifeln. Und vielleicht erlöst Wiebke Puls – auch durch die revuehafte, von Tellerwurfkunststücken und Hexenklamauk aufgelockerte Form – das Tabuthema Glauben von Ernsthaftigkeit und Hermetismus. Vielleicht schafft ein solcher Live-Comic auch neue Verständniskorridore: Wird sie imTalkshow-Format präsentiert, ist man plötzlich bereit, der Geschichte von Jakobs Kampf mit dem Engel zu lauschen. Könnte es also der gewöhnlich dröge-pries-terliche Vortrag sein, der das Thema für den zeitgenössischen Pragmatiker indiskutabel macht?

„Profanisierung durch Banalisierung“ könnte das Motto heißen, unter das Wiebke Puls ihr Thema stellt. Und en passant führt sie gekonnt die Grenzen des Gelabers vor: Immer dann, wenn privates Gläubigkeitsgeschwätz in Peinlichkeit umkippt, setzen Lieder und Gebete ein. Dabei fängt sie die Bekennenden auf halbem Weg in den Abgrund ab und ersetzt das Oberflächengeschwätz durch Symbole und Riten, die – wenn auch subjektiv – genau jene Tiefe erreichen, die Menschen mit Worten vergeblich suchten. Und mit dieser Methode hat Wiebke Puls genau das Prob-lem benannt, das auch die aktuelle Diskussion um Theaterformen dominiert: den Widerstreit von Wort und Bild, die produktiv zu vereinen als Aufgabe künftiger Theatermacher ansteht.

Weitere Vorstellungen: 19.6., 21 Uhr sowie 24. 6., 21 Uhr, Schauspielhaus