peter unfried über charts
: Du sollst Körbchengröße 75c haben

Noch ein Tabu bricht: Jetzt sprechen schon Männer über neue Busen. Die Frage lautet: Wachstum oder Abrüstung?

OUT 1. Fett- und Drüsengewebe. Gehalten von Bindegewebssträngen. Der europäische Standard hat da vorne in der Regel die Menge, die der weiße Mann „75b“ nennt. Die eigentlich körperlich gesunde, aber innovationswillige oder mit ihrem Drüsenkörper hadernde Frau tendiert aber zu mehr – stramm geht sie auf 75c zu. Oder gar 75d. So hat das zumindest Max recherchiert, die Fachillustrierte für falsche Sänger und falsche Brüste.

2. Ritsch, ratsch. Ein drei Zentimeter langer Schnitt. Zack. Die Trennung der Drüse vom Muskel lässt im Fett-und Drüsengewebe eine „Tasche“ entstehen. Das Silikonkissen wird aus seiner Desinfektionslösung genommen und in diese Tasche gestopft.

Zunähen. Fertig. Glück!

3. In meiner kleinen Welt gibt es noch keine Silikonbeutel u.ä. Denke ich mal. Jedenfalls hat noch nie jemand etwas gesagt. Noch nie war jemand eines Tages plötzlich nicht mehr 75a, sondern 75b, c oder d. Gut so. Denn was sagt man denn dann? Nichts? Oder: „Geil“?

4 In der großen Welt wird der Mensch (Mann und Frau) ja von Silikonbeuteln u.ä. praktisch verfolgt. Teilweise schon bedroht. Riesige Silikonbusendarstellerinnen wie Katie Price jagen deutsche Soldaten bis tief in die Kasernen. Die offenbar nicht silikonbesitzende, aber silikonbesessene Bild-Kolumnistin Katja Keßler klatscht von Ariane Sommer bis Barbara Becker jeden neuen Silikonbeutel, den sie in ihrer Welt finden kann (da hat sie zu tun!). Und im Fernsehen erzählen dauernd Frauen, dass sie „etwas machen“ lassen mussten. Um wieder glücklich zu sein.

Die Statistik: Knapp 15.000 x zwei Beutel im vergangenen Jahr in Deutschland. In den USA und Großbritannien wollen ja offenbar selbst Schulmädchen die Brust optimieren – jedenfalls sobald die Nase erledigt ist. Ja zum Titjob und Ja zum Hymen gehen wie bei Rolemodel Britney Spears eine hochgetunte, aber keusche Ehe ein.

5. Muss das eigentlich sein? Ist das Fortschritt? Oder wieder dieser vermaledeite Neoliberalismus? Immer ja zum Wachstum. Auf Teufel komm raus. Wer stellt die Sinnfrage? Schröder schweigt, Thierse auch. Nur die EU hat sich diesen Mittwoch entschlossen gegen Silikonbeutel ausgesprochen - die Kundschaft unter 18 Jahren betreffend.

6. Ein Freund fragte mich: Bist du für Silikonbeutel u. ä. – oder dagegen? Das ist natürlich zunächst eine schwierige Frage, weil irgendwo zwischen Krebs und einem durchgeknallten Teenie eine diffuse Grenze liegt. Wenn man mich aber simpel fragt, ob Silikonbeutel Männer wie mich voranbringen, sage ich rigoros nein. (Die Frage ist nur, ob ich nicht lüge).

7. Niemals. Meine hochmoralische These lautet: Die Silikonisierung eines Teils der Gesellschaft ist auch ein Ausdruck der Pervertierung der Demokratie und der Kapitulation der Politik vor der Wirtschaft. Letztlich ist es die Kapitulation des Menschen vor der Werbung – dieser furchtbarsten Oligarchie, die jemals auf diesem Planeten die Individuen zu geistig entmündigten Vollidioten gemacht hat.

Was das heißt? Letztlich sind beide Zielgruppen, Männer wie Frauen, auf einen billigen Werbetrick hereingefallen. Der Claim, das Leben sei mit Silikonbeuteln schöner, ist eines der zehntausend neuen Gebote der Welt. Es lautet: Du sollst Körbchengröße 75c haben. Und 75a? Wird teilweise schon als genetischer Defekt betrachtet, den es künftig durch Erschließung des chancenreichen Marktes Gentechnik zu vermeiden gilt. – Diese Werbung findet natürlich hauptsächlich im scheinbar redaktionellen Teil unseres Lebens statt.

8. In Hollywood ist ja Titanic passé. Da neigt man längst wieder zu kleinen Brüsten (also Brustverkleinerungen). In Großbritannien hungert sich die falsche Avantgarde den Busen weg – frei nach dem ehemaligen Mops Girl Geri Halliwell. Was heißt das? „Es heißt, Brüste sind das neue Fett“, analysierte Barbara Ellen im Observer, „unansehnliche Klumpen, die so schnell wie möglich verschwinden müssen.“ Abrüstung? Zurück zur Natur? Nein. Ein neuer Claim. Flach macht glücklich.

9. Was heißt das für den Verbraucher? Jetzt hat also der Papa glücklich alle Hände voll zu tun mit den 75d von der Mama. Grade dachten beide noch, nun müsste es aber selbst bei ihnen mal gut kommen. Und nun heißt groß schon wieder dick? Und dick macht unglücklich? Rin mit den Kartoffeln, raus mit den Kartoffeln. Da schauen sie aber schön traurig aus der Wäsche. Wie zwei schlaffe, poröse Silikonbeutel nach mehrjährigem Betrieb.

IN Übrigens schätze und bewundere ich Pamela Anderson (Hier sehen Sie das Bild von ihr, das ich in meiner Kathedrale namens Geldbeutel aufbewahre). Weil sie so perfekt die Rolle der Frau spielt, aus deren Silikon-Implantaten sich alles Glück dieser Welt ergibt. Ihr sexuelles Glück, ihr materielles Glück, ihr Glück, ein Star zu sein und für Milliarden doofer Männer die sexuell attraktivste Frau aller Zeiten. Das Schöne: Anderson zwinkert dabei immer mit den Augen. Nichts ist echt. Alles ist nur gespielt. Meine Haare sind eigentlich auch nicht blond. Das wisst ihr schon, ihr kleinen Mäuse, oder? So ist doch etwas echt: Ihre Selbstironie. Das macht diese Frau so natürlich.Außerdem hat sie super Brüste.

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