Der EU-Gipfel sucht nach Auswegen

Die überraschende Ablehnung des Nizza-Vertrages durch die irischen WählerInnen hat Inhalt und Zeitplan des Göteborger EU-Gipfels durcheinander gebracht. Statt fester Vereinbarungen stehen jetzt neue Provisorien auf dem Programm

aus Göteborg SABINE HERRE

Die schwedische Präsidentschaft hatte sich das so schön vorgestellt. Eine Präsentation des historischen und modernen Schweden sollte der EU-Gipfel in Göteborg werden, – gekrönt von einer EU-Vereinbarung über nachhaltige Entwicklung und einem konkreten Datum für die Aufnahme neuer Mitglieder.

Doch dann verdarben Iren, Deutsche, Franzosen und Spanier die Inszenierung. Die Iren lehnten den Nizza-Vertrag ab, und so entstand mit der Suche nach einem Ausweg ein ganz neues Gipfelthema. Die anderen aber hatten in den letzen Tagen der schwedischen Präsidentschaft keinen Zweifel daran gelassen, dass die nationalen Interessen Vorrang haben vor einer schnellen Erweiterung. Zwar, so Bundeskanzler Schröder vor Beginn der Verhandlungen gestern, müsste der Gipfel den Kandidaten ein „klares Signal“ senden. Doch erste Stellungnahmen deuten eher eine Verwässerung der Versprechungen von Nizza an. So sprach Außenminister Fischer davon, dass der Erweiterungsprozess „unumkehrbar“ sei – als ob daran jemals gezweifelt worden sei.

Beim EU-Gipfel im Dezember hatte man den ersten Beitrittskandidaten in Aussicht gestellt, an den Europawahlen 2004 teilnehmen zu können. Nun, so die stellvertretende schwedische Ministerpräsidentin Lena Hjelm Wallén zur taz, gehen die Vertreter der europäischen Sozialisten davon aus, dass eine solche Beteiligung auch möglich ist, wenn die Verhandlungen abgeschlossen, die Beitrittsverträge aber noch nicht ratifiziert seien.

Und auch bei der „irischen Frage“ deutet sich eine neue Richtung an. Hatte man zunächst überlegt, die irischen Pazifisten durch eine „Opting-out-Möglichkeit“ bei einem Einsatz der europäischen Eingreiftruppe zufrieden zu stellen, so warnte die Präsidentin des Europäischen Parlaments, Nicole Fontaine, gestern vor einer „Verstrickung“ der EU in ein „Netz von Arrangements“. Der Vorsitzende der irischen Labour-Party, Ruairi Quinn, sagte der taz, dass die Iren selbst eine Lösung für das von ihnen geschaffenen Problem finden müssten. Ein neues Referendum werde erst nach den irischen Parlamentswahlen, also etwa im August 2002, stattfinden.

Eine positive Auswirkung hat das irische Referendum jedoch – zumindest nach Ansicht der österreichischen Außenministerin Benita Ferrero-Waldner. Bundeskanzler Schröder habe nun seine Vorstellung von einer föderalen EU „heruntergeschraubt“. Schröder hatte in einem Interview laut Financial Times gesagt, auf eine zweite Parlamentskammer werde man sich 2004 noch nicht einigen können. Außerdem solle man bei der Verfassungsdebatte nicht überstürzen.

Das dritte wichtige Gipfelthema, die nachhaltige Entwicklung, stand ganz im Zeichen des Konfliktes zwischen nationalstaatlichen und gemeinschaftlichen Interessen. Die EU-Kommission hatte ein nicht nur von Schweden, sondern auch den großen Umweltorganisationen begrüßtes Konzept vorgelegt, das die Mitgliedstaaten zu weit reichenden Maßnahmen aufforderte. Von 2012 bis 2020 sollten sie die Treibhausgasemissionen jährlich um ein Prozent senken. Subventionen für Kohle sollten bis zum Jahr 2010 abgebaut werden. Doch genau bei diesen Zielvorgaben setzten sich erneut die nationalen Interessen durch. So lehnte die deutsche Regierung einen Eingriff in ihre Kohlesubventionspolitik ab, und auch Tony Blair wollte sich nicht auf konkrete Ziele festlegen. Die Schweden haben für das Abschlussdokument daher ein Papier vorgelegt, das sich nur noch allgemein für die Nachhaltigkeitsstrategie ausspricht. Konkretisierungen fehlen. Das hat einen Vorteil: Ein in das Kommissionspapier noch eingefügter Absatz über die „nachhaltige“ Weiterentwicklung der Atomkraft taucht nicht mehr auf.