„Und plötzlich geht’s“

Das Urteil des BGH zur Unterhaltspflicht für Frauen, die nach der Scheidung wieder arbeiten, kommt den heutigen Lebensplanungen entgegen, meint der Experte für Familienrecht, Siegfried Willutzki

Interview HEIDE OESTREICH

taz: Erwarten Sie eine Klageflut von allen ExgattInnen, die mehr Unterhalt bekommen wollen?

Siegfried Willutzki: Nein. Denn diese Wende in der Rechtsprechung berechtigt nicht zu einer Abänderungsklage. Aber wenn der Unterhalt aus anderen Gründen verändert wird, kann die neue Rechtsprechung berücksichtigt werden.

Wer bereits Unterhalt bekommt, kann also nur im Ausnahmefall mit mehr Geld rechnen?

Nein, denn solche Änderungen kommen sehr oft vor. Sobald sich die Einkommensverhältnisse ändern oder der Unterhalt für ein Kind wegfällt, kommt es zu einer neuen Berechnung. Im Schnitt wird ein Unterhaltsurteil alle zwei Jahre angepasst. Sukzessive kommen also alle Geschiedenen in den Genuss dieses Urteils.

Wie viele Fälle betrifft das?

Etwa 30 Prozent der Fälle sind es schon. In den anderen Fällen haben entweder die Ehegatten ohnehin zu wenig Geld, um nennenswerten Unterhalt zu zahlen. Oder die Ehefrau hat ohnehin während der Ehe gearbeitet, so dass die Differenzregelung sowieso greift.

Viele Männer befürchten, dass die Exfrau sie ausnehmen wird, dass sie nun auch noch bequem weiter halbtags arbeitet, weil sie sicher sein kann, dass sie genügend Unterhalt bekommt.

Das höre ich oft, aber das ist schlicht falsch. Bisher war es so: Wenn die Frau erst nach der Trennung eigenes Einkommen hatte, dann entlastete das nur den Mann, weil er entsprechend weniger Unterhalt zahlen musste. Sie selbst hatte nichts davon. Und nun sagen Sie mir mal, ob eine vernünftig und wirtschaftlich denkende Frau dann besonders große Neigung empfinden sollte zu arbeiten. Erst jetzt besteht doch wirklich ein Anreiz, weil man selber davon profitiert und nicht nur zur Entlastung des anderen beiträgt. Unsere Erfahrung zeigt übrigens: Wenn Frauen überhaupt wieder arbeiten, dann wird aus der Teilzeitstelle sehr häufig eine Vollzeitstelle, nur dann kann man nämlich Karriere machen. Und dann kommt es ja wieder zu einer Entlastung des Mannes, weil der Bedarf der Frau praktisch gegen Null geht.

Der Verband der Familienfrauen und -männer fordert ja schon seit längerer Zeit eine Entlohnung für Hausarbeit.

Die Rechtsprechung gibt solchen Forderungen natürlich Rückenwind. Wenn man genau auf das Gesetz schaut – was der BGH jahrelang nicht getan hat –, dann hat der Gesetzgeber ja bereits 1977 die Gleichwertigkeit von Haus- und Erwerbsarbeit festgestellt. Sowohl beim Ehegattenunterhalt als auch beim Kindesunterhalt galt die Arbeit der Hausfrau ebenso viel wie die des Mannes.

Warum kommen erst jetzt die Änderungen?

Die Instanzgerichte sind immer wieder gegen die Rechtsprechung des BGH Sturm gelaufen. Jetzt aber haben wir beim BGH eine andere personelle Besetzung, und plötzlich geht’s.

Jetzt können Frauen in der Ehe doch getrost zu Hause bleiben.

Ich sehe einen ganz anderen Ansatz. Der BGH hat ja bisher schon die Differenzmethode zugelassen, wenn bewiesen werden konnte, dass die Frau unabhängig von einer möglichen Scheidung geplant hatte, nach einer Kinderpause wieder zu arbeiten. In unseren Appellen an den BGH haben wir immer wieder darauf hingewiesen, dass heute die Lebensplanung jeder Frau generell darauf zielt, nach einer Familienphase wieder in den Beruf zurückzukehren. Ich glaube, dass diese Tendenz viel stärker ist als die, sich auf Kosten des Mannes ein schönes Leben zu machen.