Kronzeuge: Knüller liefern

Berliner Verfahren gegen mutmaßliche RZ-Mitglieder. Kronzeuge Tarek Mousli äußert sich zur Befragung durch Bundesanwaltschaft. Vorwürfe der Verteidigung

BERLIN taz ■ Hausbesetzungen in Kiel, Antiatomkämpfe in Brokdorf, Krawalle in Kreuzberg – die Stationen des politischen Lebens von Tarek Mousli lesen sich wie die Biografien zahlreicher Autonomer der 80er.

Doch inzwischen hat der 42-Jährige längst die Seiten gewechselt: Vor dem Berliner Kammergericht wurde der ehemalige Karatelehrer gestern im Prozess gegen fünf mutmaßliche Mitglieder der Revolutionären Zellen (RZ) vernommen – als Kronzeuge der Bundesanwaltschaft (BAW).

Über das Alternativzentrum Mehringhof und seine Mitarbeit in der Zeitschrift radikal sei er 1982 in die Berliner autonome Szene gekommen, erläuterte er auf Fragen der Vorsitzenden Richterin Gisela Hennig. Mousli wollte keinen Zweifel daran lassen, dass er zahlreiche Aktivisten und Aktivistinnen aus diesen Zeiten kannte. So nannte er etwa bereitwillig die Namen von vier Mitglieder eines von ihm als „Koordinationsausschuss“ genannten Gremiums, das Gelder aus dem Erbe eines Apothekers an „legale und illegale Projekte“ verteilt haben soll. Allein seine „Funkgruppe“ habe für die Observation von Polizei und Verfassungsschutz zwischen 1984 und 1990 rund 70.000 Mark erhalten. Auch die RZ sollen damals, so hatte der Kronzeuge bereits in früheren Aussagen angegeben, von dem Ausschuss finanziell unterstützt worden sein.

Zu den Aktivitäten der RZ, deren Berliner Zelle Mousli angehört haben will, wurde er am gestrigen 12. Verhandlungstag noch nicht vernommen. Bereits in der vergangenen Woche standen mit der Vernehmung des Bundesanwaltes Rainer Griesbaum die Gespräche zwischen BAW und Mousli über die Kronzeugenregelung im Zentrum der Verhandlung. Dabei war deutlich geworden, dass es mehrere Unterhaltungen gab, über die keine schriftlichen Vermerke angefertigt wurden. Der Verdacht, dass Beamte von BAW und Bundeskriminalamt den Zeugen unter Druck setzten, wie die Verteidigung der Angeklagten vermutet, bekam mit Mouslis gestrigen Aussagen neue Nahrung. So sei ihm mit Verweis auf seine exponierte Arbeitsstelle als Karatelehrer und auf eine langjährige Haftstrafe nahe gelegt worden, Namen von Mittätern zu nennen. Er müsse „Knüller“ liefern, zitierte er seine Vernehmer. Da er nicht bereit gewesen sei, für Aktionen den Kopf hinzuhalten, die er nicht zu verantworten habe, sei er auf die Kronzeugenregelung eingegangen. Die fünf Beschuldigten sitzen ausschließlich wegen der Aussagen Mouslis auf der Anklagebank. Dabei finden sich laut einer Presseerklärung der Verteidigung in den Akten „eine Vielzahl von Hinweisen“, nach denen „der Kronzeuge nach allen Regeln der Kunst für seine Vernehmung präpariert wurde“. Mousli wurde 1999 verhaftet und berichtet den Ermittlern spätestens seit November des Jahres ausführlich, was er vom Innenleben der RZ wissen will. Im Dezember 2000 stand er selbst in Berlin vor Gericht. Das Urteil: Zwei Jahre auf Bewährung – eine Strafe, die ihm bereits nach seiner Verhaftung mit Blick auf die Kronzeugenregelung in Aussicht gestellt wurde. Seit April vergangenen Jahres ist er im BKA-Zeugenschutzprogramm.

WOLF-DIETER VOGEL