: Einfach alles funktionierte
Nach dem 41:10 gegen die Amsterdam Admirals hofft das Footballteam Berlin Thunder auf die erstmalige World-Bowl-Teilnahme und blickt zurück auf eine gelungene Saison in der NFL Europe
aus Berlin THOMAS WINKLER
Noch nie sah man Michael Lang, den Manager von Berlin Thunder, so selig lächelnd die Seitenlinie entlang spazieren. Noch nie sah man Peter Vaas, den sonst eher bärbeißigen Trainer des Footballteams der Hauptstadt, während TV-Interviews direkt nach Spielschluss so entspannt und selbstzufrieden grinsen. Der Grund: Nach dem samstäglichen 41:10-Sieg gegen die Amsterdam Admirals im letzten Heimspiel der Saison hat Thunder nun gute Chancen, die World Bowl zu erreichen, für die sich die Barcelona Dragons bereits qualifiziert haben. Es wäre die erste Endspielteilnahme in der nun dreijährigen Geschichte von Thunder, nachdem man die ersten beiden Spielzeiten in der NFL Europe jeweils am Tabellenende beschlossen hatte.
Egal, ob nächste Woche, am letzten Spieltag, in Amsterdam tatsächlich die Finalqualifikation glückt: Es war eine gelungene Saison für Thunder. Zwar blieben die Zuschauerzahlen wieder leicht hinter den Erwartungen zurück, aber erstmals gelangen mehr als vier Siege, und man spielte bis Saisonschluss um den Titel mit. Da es, so Vaas, „kein Geheimnis ist, dass wir den Ball gerne werfen“, bevorzugte Thunder zudem ein attraktives Passspiel und dank Quarterback Jonathan Quinn gab es quasi wöchentlich neue Teamrekorde zu feiern.
So war das 41:10 gegen Amsterdam der höchste Sieg in der Thunder-Geschichte. Beeindruckend dabei, wie die Berliner einen direkten Konkurrenten um den zweiten World-Bowl-Platz auseinandernahmen und das Spiel bereits in der ersten Halbzeit entschieden. „Wir wussten, was wir zu tun hatten“, versuchte Wide Receiver Ahmad Merritt die einseitige Veranstaltung zu erklären, „und alles, einfach alles funktionierte.“ Selten in einer Liga, die schon aus strukturellen Gründen ungemein ausgeglichen ist, denn jedes Team wird vor jeder Saison nahezu komplett neu zusammengestellt.
Es könnte denn auch sein, dass nach dem letzten Spieltag mehrere Klubs punktgleich auf dem zweiten Tabellenplatz stehen. Momentan haben Thunder und Düsseldorf Rhein Fire, das am Samstag 17:13 beim Tabellenletzten Frankfurt gewann, jeweils fünf Siege auf dem Konto und damit die besten Chancen. Aber auch Amsterdam ist noch nicht aus dem Rennen, wenn Rhein Fire kommendes Wochenende verliert, man aber selbst die Berliner besiegt.
Bei Gleichstand mehrerer Teams würden direkter Vergleich sowie gegebenenfalls Offensiv- und Defensivstatistiken eine Rolle spielen. Die Aussicht, den letzten Spieltag mit absurden Rechenspielen zu verbringen, ließ Vaas denn auch zum einzigen Mal an diesem Abend sein übliches Bedenkenträgergesicht aufsetzen. Es könnte, erwog der Trainer mit finsterer Miene, nächste Woche durchaus die absurde Situation eintreten, dass man Amsterdam zwar besiegen müsse, dabei aber möglichst wenige Yards mit der eigenen starken Offensive machen dürfe, damit die Defensive der Admirals nicht hinter die von Rhein Fire rutsche. Ein Paradigma, das zu lösen die eine Woche Vorbereitungszeit wohl kaum reichen wird. Einen Vorteil immerhin hat Thunder: Düsseldorf spielt bereits am Samstag, man selbst erst am Tag darauf. „Wir werden also wissen, was zu tun ist“, sagt Vaas, „wir müssen es nur tun.“
Nun muss die Endspielteilnahme, trotz aller gegenteiliger Beteuerungen, auch gar nicht so wichtig sein. Wichtig ist, dass in Frankfurt beim Derby gegen Düsseldorf sogar mehr als 50.000 Menschen kamen und einen neuen NFL-Europe-Rekord aufstellten, dass erstmals in dieser Saison die Zuschauerzahl im Berliner Jahn-Stadion fünfstellig war, und denen, die kamen, wie Manager Lang immer wieder beschwört, „eine gute Show“ geboten wurde.
Wichtig für die meist von NFL-Clubs ausgeliehenen Spieler ist die Footballdiaspora Europa vor allem als Karrieresprungbrett. Hilfreicher als Titel zu gewinnen, kann es da durchaus sein, die persönlichen Statistiken aufzupolieren. Quinn gelangen gegen Amsterdam gleich fünf Touchdown-Pässe. Ein NFL-Europe-Rekord, den er nun zusammen mit Joe Kitna und Kurt Warner hält, zwei Quarterbacks, die sich nach ihren Gastspielen in Europa auch im Mutterschiff NFL etablieren konnten. Ein Schicksal, das Quinn, glaubt man seinem aktuellen Headcoach, auch bevorsteht. „Eine großartige NFL-Karriere“ habe der Quarterback vor sich, verkündete Vaas nach dem Spiel, in Berlin wird Quinn, so leid es ihm tue, wohl nie wieder spielen.
Andere hoffen da eher, es möge nicht der letzte Auftritt in der Hauptstadt gewesen sein. Auf Spieler wie David Walden und T. J. Washington warten zu Hause wohl bestenfalls die Trainingsteams der Arizona Cardinals und der Carolina Panthers, wo sie den Stars vor allem als Prellböcke dienen dürften. So waren die beiden Kumpel aus der Offensive Line nach Spielende mit Einwegfotoapparat im Anschlag auf der Suche nach jemandem, der ein paar Schnappschüsse von ihnen Arm in Arm vor der Berliner Gegentribüne fertigt. Wer weiß schon, wann und ob überhaupt man mal wieder vor Publikum spielen darf.
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